Venezianische Verlobung
dort das Antlitz seines Erlösers über ihm leuchten werde.»
«Er hat also Ihren Vorschlag nicht beantwortet.»
Beust schüttelte den Kopf. «Nein. Er ist aufgestanden und zu dem Schrank dort gegangen.» Beust wies mit der Hand seines unverletzten Arms auf einen hölzernen Kü chenschrank. «Dann hat er sich gebückt und etwas aus dem Schrank genommen.»
«Den Revolver?», erkundigte sich Tron.
Beust nickte. «Vermutlich dieselbe Waffe, mit der er Gutiérrez erschossen hat. Ich hätte nie damit gerechnet, dass er mich bedrohen würde. Er hat mit ganz ruhiger Stimme behauptet, der Erzherzog sei der Antichrist. Und es sei Got tes Wille, dass ich jetzt sterben müsse. Und dass er die Photographien der Obhut der heiligen Kirche übergeben werde. Alles andere sei ihm gleichgültig.»
«Was ist danach geschehen?»
«Zuerst hat er mich aufgefordert, mit ihm zusammen für mein Seelenheil zu beten.» Beust konnte nicht verhindern, dass seine Stimme bei der Erinnerung an diese Aufforderung zu zittern begann. «Er hat mir angeboten, meine Beichte abzunehmen und mir die Absolution zu erteilen.»
«Und dann?»
«Er hielt die Waffe in seiner rechten Hand, und ich konnte sehen, wie sein Daumen den Hahn nach hinten zog, um den Revolver zu spannen. Mir war klar, dass es in dem Moment, in dem der Hahn einrastete, zu spät sein würde.»
«Also haben Sie selber Ihre Waffe gezogen.»
Beust lächelte matt. «Nicht gezogen, Commissario. Dafür blieb mir keine Zeit. Ich habe aus der Manteltasche heraus gefeuert. Durch meinen Radmantel hindurch. Einfach in seine Richtung gehalten und abgedrückt. Und mich dann zur Seite geworfen.»
«Sodass Sie der Schuss Calderóns nur gestreift hat.»
«Es war reines Glück», sagte Beust. «Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, müsste ich jetzt tot sein.»
«Die Kugel», erklärte Bossi, der inzwischen ein Tischtuch über den Oberkörper des Priesters gebreitet hatte, «hat Calderón direkt ins Herz getroffen. Er muss auf der Stelle gestorben sein.»
Beust stöhnte wieder auf, und Tron fragte sich, was diesen Mann dazu bewogen hatte, zum Militär zu gehen. «Ein reiner Zufallstreffer», sagte der Kapitänleutnant. Er grinste kläglich. «Eigentlich bin ich ein miserabler Schütze.»
Tron sah Beust an. «Was meinen Sie, Herr Kapitänleutnant? Können Sie aufstehen und laufen?» Er musste sich immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen, dass die zusammengesunkene Gestalt auf dem Stuhl einen militärischen Rang bekleidete.
Der Kapitänleutnant hob irritiert den Kopf. «Wohin soll ich denn laufen?»
«Nur die paar Schritte zum Rio Madonna dell’Orto. Da liegt unsere Gondel. Wir können Sie ins Danieli bringen.
Dort wird sich der Hotelarzt um Sie kümmern.»
«Wer benachrichtigt den Erzherzog?»
«Das übernimmt Bossi auf dem Weg zur Wache an der Piazza.»
Beust überlegte einen Moment. Dann sagte er: «Ich muss erst wissen, ob die Photographien hier sind. Und den Erzherzog muss ich selbst sprechen.» Er drehte seinen Kopf mühsam nach links. «Was ist hinter der Tür da?»
Tron zuckte die Achseln. «Vermutlich das Schlafzimmer.»
«Dann würde ich vorschlagen», sagte Beust mit einer Stimme, die sich jetzt ein wenig fester anhörte, «dass Sie mit der Suche nach den Photographien im Schlafzimmer beginnen.»
Der zweite Raum der Wohnung, dessen Fenster ebenfalls auf den Hof ging, war kein richtiges Zimmer, sondern eher eine größere Kammer, die nicht viel mehr als ein Bett, einen Schrank und ein Regal enthielt. Auf der einen Seite des Bettes stand ein Stuhl, auf der anderen ein Nachttisch.
Fahles, fleckiges Licht fiel durch schmutzige Scheiben, und ein intensiver Geruch nach verschüttetem Petroleum und verdorbenem Essen erfüllte das Zimmer.
Auf dem Regal standen zwei hölzerne Kameras und ein halbes Dutzend Pappschachteln, die voller photographischer Abzüge waren. Tron sah die Schachteln zusammen mit Bossi durch, doch sie enthielten nur Photographien mit den üblichen Venedig-Motiven, keine Aufnahmen von Personen und schon gar nicht Aufnahmen, wie sie an spezielle Kunden unter dem Ladentisch verkauft wurden. Danach öffnete Tron den Schrank, in dem zwei Gehröcke und ein Mantel hingen. Automatisch tastete er die Kleidungsstücke ab, aber erwartungsgemäß fand er nichts. Ebenso wenig konnte Bossi unter dem Bett und unter der Matratze entdecken.
Schließlich fand Tron den Umschlag – so als hätte es Pater Calderón für überflüssig
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