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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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den Kaffee in seiner Tasse, als sei er eine kleine Welt, die es zu entschlüsseln galt. Die Milch, die er in den Kaffee geschüttet hatte, war wieder an die Oberfläche gekommen und nahm einen Moment lang die Form der italienischen  Halbinsel an. Oder eines Zylinderhutes. Dann verwandelte sie sich in etwas, das wie ein Tintenfisch aussah. Oder wie irgendetwas anderes. «Es war noch kein Muster zu erkennen», sagte Tron nachdenklich.
    «Und jetzt?»
    «Ist ein Muster sehr wohl erkennbar.» Die Bewegung  der Milch verlangsamte sich, und ihre Schlieren erinnerten Tron ein paar Sekunden lang an die volta, an die Biegung des Canalazzo. «In diesem Ermittlungsstadium», sagte er, «sind logische Schlüsse sehr wohl möglich. Wir haben zumindest eine Ahnung von der Grammatik des Falls.»
    Grammatik des Falls – mein Gott, was für einen geschwollenen Unsinn er da redete, dachte Tron. Da er sich den Blick vorstellen konnte, den ihm die Principessa jetzt zuwarf, sah er lieber nicht auf, sondern nahm den Löffel und rührte seinen Kaffee um.

46

    Der Hof, an dem Puccis Wohnung lag, maß ungefähr  zwanzig mal zwanzig Schritt im Geviert und war von zweigeschossigen, ziegelgedeckten Häusern umgeben. Tron und Sergente Bossi saßen seit kurz nach zwölf in einer leer stehenden Wohnung im Untergeschoss eines der Häuser und starrten durch einen zerbrochenen Fensterladen auf den Hof  hinaus. Eine feuchte, durchdringende Kälte, ein Eishauch, stieg von den steinernen Bodenplatten auf und ließ erst ihre Füße, dann ihre Beine erstarren. Tron verfluchte sich dafür, dass er den scaldino zurückgewiesen hatte, den Alessandro ihm mit auf den Weg hatte geben wollen.
    Seit einer halben Stunde, kurz nachdem Pater Calderón  den Hof durchquert und der klemmenden Tür zu Puccis  Wohnung einen unpriesterlichen Tritt versetzt hatte, fiel ein feiner Sprühregen vom Himmel, der den ungepflegten Plattenweg in der Mitte des Hofes erglänzen ließ. Vor Calderón hatte sich außer einer Katze und einem alten Mann, der langsam über den Hof geschlurft und in einem der Hauseingänge verschwunden war, kein weiteres lebendes  Wesen gezeigt.
    Beust erschien kurz nach drei. Er hatte irgendwo einen  Radmantel aufgetrieben, wie González ihn hin und wieder trug. Sein Zylinderhut war tief ins Gesicht gedrückt. Er lief mit schnellen und, wie es Tron schien, etwas ängstlichen Schritten auf Puccis Wohnungstür zu. Dann klopfte er. Falls Pater Calderón überrascht war (und das war er zweifellos), dass nicht González, sondern Beust vor der Tür stand, hinderte ihn seine Überraschung offenbar nicht daran, den Besucher sofort einzulassen. Nachdem sich die Tür knarrend geöffnet hatte, verschwand der Kapitänleutnant im Inneren des Hauses.
    «Das gefällt mir nicht», sagte Bossi ein paar Minuten spä ter. Seine Stimme klang belegt. Tron sah einen Schweiß tropfen auf seiner Oberlippe glänzen.
    «Was gefällt Ihnen nicht, Bossi?»
    Was sich als komplizierte Frage herausstellte, denn Bossi musste ein wenig nachdenken, bevor er sie beantworten konnte. Zwei Tauben flatterten so langsam über den Hof,  dass Tron Zeit hatte, bis zehn zu zählen, ehe sie wieder im Nebel verschwanden.
    «Dass Pater Calderón ihn sofort in die Wohnung gelassen hat», sagte Bossi schließlich zögernd. «Der Pater ist mit González verabredet gewesen und nicht mit Beust.»
    Tron zuckte die Achseln. «Er wollte kein Gespräch auf  der Türschwelle.»
    Bossi schüttelte den Kopf. «Das meine ich nicht.»
    «Und was meinen Sie, Sergente?»
    Bossi holte tief Atem. «Ich kann es nicht begründen,  Commissario. Aber …» Er unterbrach sich und schluckte.
    «Reden Sie weiter, Sergente.»
    «Mir kommt es vor, als sei es Calderón völlig egal, wen er in dieser Wohnung empfängt», sagte Bossi. «Als sei es ihm gleichgültig, wen er tötet.» Er zerrte ein Taschentuch aus seiner Hose und wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. «Was machen wir, wenn er Beust erschießt?»
    «Wir gehen rein und verhaften ihn», sagte Tron ruhig.
    «Unter diesen Umständen dürfte es Calderón schwer fallen, sich wieder ein Alibi zurechtzulügen.»
    Das mit dem Verhaften hörte sich einfach an, setzte allerdings, wie Tron sich eingestehen musste, eine gewisse Kooperationsbereitschaft Calderóns voraus. Tron war fest davon überzeugt, dass der Pater bewaffnet war.
    Bossi sprach aus, was beide dachten. «Es wäre besser gewesen», sagte er, «wenn wir ein paar Leute zur Verstärkung

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