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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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damals nicht voneinander verabschiedet – die kurze Notiz, die sie am Tag nach seiner Abreise vorgefunden hatte, konnte man nicht als Abschied bezeichnen. Er war aus ihrem Leben gefallen – so sagte man wohl. Das Seltsame dabei war, dass sie damals froh darüber gewesen war – vielleicht weil sie gespürt hatte, dass er eine Gefahr für sie darstellte und – schlimmer noch – sie für ihn.
    Sie folgte dem vom Nebel verschleierten Rio della Madonna dell’Orto, kam an heruntergekommenen Gebäuden  vorbei (das nördliche Cannaregio war als Wohngegend  nicht gerade comme il faut ), und kurz nachdem sie die Kirche Madonna dell’Orto passiert hatte, sah sie das Haus und den Durchgang – genau so, wie er es beschrieben hatte. Der Durchgang war dunkel und roch nach Fisch. Auf der anderen Seite lag ein verwilderter Garten, durch den ein schmaler Pfad zu einer Holztür führte. Auch das entsprach seiner Beschreibung.
    Als sie vor der Tür stand und vergeblich nach dem Klingelzug suchte, stellte sie fest, dass sie erhitzt und außer Atem war. Sie lehnte sich einen Moment an die steinerne Türeinfassung. Dann atmete sie tief durch und klopfte.
    Er musste sie durch die geschlossenen Fensterläden bereits erspäht haben, denn unmittelbar nachdem sie geklopft hatte, schwang der Türflügel nach innen. Dann sagte eine Stimme, die härter und präziser klang als die Stimme, die sie in Erinnerung hatte: «Komm herein, Maria.»
    Sie trat automatisch ein, brauchte ein paar Sekunden,  um ihre Augen an das Dämmerlicht im Flur zu gewöhnen,  bis sie sein Gesicht erkennen konnte. Es schien ihr hagerer geworden zu sein in den Jahren, in denen sie ihn nicht ge sehen hatte. Die Linien zu beiden Seiten der Mundwinkel waren tiefer, und seine Augen, von einem hellen Blaugrau, lagen tief in einem gebräunten, wettergegerbten Gesicht. Er sah so aus – so gut aus – wie früher.
    Aber etwas war ganz anders und zugleich so offensich tlich, dass sie es auch im Halbdunkel des Flurs schwer übersehen konnte. Erstaunt trat sie einen Schritt zurück. Er trug einen Gehrock – einen dunkelbraunen, nach der letzten Mode geschnittenen Gehrock, ein Hemd und um den Kragen die übliche schwarze Schleife.
    Sie schüttelte verwundert den Kopf. «Was hat der Gehrock zu bedeuten?»
    Er lächelte. «Nichts. Eine reine Verkleidung.»
    «Du bist immer noch …?»
    Er nickte, und seine Augenbrauen zuckten kurz nach  oben, als wäre er erstaunt über diese Frage. «Natürlich. Daran hat sich nichts geändert.» Er sah sie aufmerksam an. Als sie schwieg, sagte er, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden: «Du hast dich kaum verändert. Jedenfalls nicht in diesem Licht.» Wieder lächelte er, aber es war nicht das Lächeln, mit dem ein Mann einer Frau ein Kompliment macht.
    «Warum hast du mir nie geschrieben?» Sie versuchte, jeden Vorwurf aus ihrer Stimme herauszuhalten.
    «Das konnte ich nicht», sagte er ruhig. Dass seine Stimme jetzt fast amüsiert klang, beruhigte sie.
    «Das musst du mir erklären.»
    «Ich dachte, du wüsstest, warum ich dir nie geschrieben habe.»
    Natürlich wusste sie es. Oder ahnte es zumindest.
    «Ich hätte lügen müssen in meinen Briefen», sagte er.
    «Was hast du über mich gehört?»

    «Dass du nach Mexiko gegangen bist.» Sie hielt inne.
    Dann sagte sie: «Du hättest dich verabschieden können.»
    «Unsere Beziehung stand kurz davor, außer Kontrolle zu  geraten. Es stand zu viel auf dem Spiel für mich.»
    «Für mich auch.»
    Er nickte. «Ich weiß.»
    «Und jetzt?»
    «Vier Jahre sind eine lange Zeit», sagte er. «Jetzt freue ich mich, dich zu sehen.»
    «Der Gehrock steht dir gut.»
    Er lachte. «Ich komme mir vor wie ein Deserteur.»
    «Wann hat diese Maskerade ein Ende?»
    Er zuckte mit den Achseln. «Das kann ich dir nicht sagen. Es hat hier in Venedig Probleme gegeben.»
    Er ging voraus, und sie folgte ihm in ein spärlich möb liertes Zimmer. In dessen Mitte stand ein Tisch, offenbar als Esstisch gedacht, auf dem sich Ausgaben der Gazzetta di Venezia stapelten, neben zwei schmutzigen Tassen, einem Wasserglas und einer Flasche Grappa. Ein modriger Geruch, der sich aus altem Kohl, Katze und Zigarettenrauch zusammensetzte, hing in der Luft. Obwohl es in dem Raum kalt war, spürte sie, wie ihr der Schweiß die Schläfen hinunterrann und ihr das Haar feucht an der Stirn klebte.
    «Was für Probleme?» Die Principessa strich sich das Haar zurück, während sie sich auf einem der Stühle niederließ, die am

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