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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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der Mordnacht gegen acht zu ihrer Wohnung am Rio della Verona  begleitet und ist danach ins Danieli zurückgekehrt. Behauptet er. Aber er ist in Wahrheit erst kurz vor halb zwölf im Danieli gewesen. Gutiérrez hat uns drei Stunden verschwiegen.
    Die drei Stunden, in denen Anna Slataper ermordet wurde.»
    «Steht der Botschafter unter Verdacht?»
    Tron zuckte die Achseln. «Wenn das stimmt, was Sie  über den Ankauf der Haziendas sagen, hätte er ein Motiv, Maximilians Pläne zu sabotieren. Das macht ihn aber noch lange nicht zum Mörder.»
    «Was haben Sie jetzt vor?»
    «Der Erzherzog hat mich gebeten, zu ihm auf Schloss  Miramar zu kommen. Ich nehme um zwölf die Erzherzog Sigmund. »
    «Wissen Sie, warum der Erzherzog Sie sprechen möchte?»
    Tron hielt es nicht für notwendig, alle Karten auf den Tisch zu legen. «Das weiß ich nicht», sagte er. «Erzherzog Maximilian fühlt sich vermutlich dazu verpflichtet, unsere Ermittlungen zu unterstützen.»

21

    Für jemanden, dessen Vorfahren den Herrn ermordet hatten, wie Signora Zuliani gesagt hätte, sah Signor Levi ausgesprochen friedlich aus. Er stand vor dem großen hölzernen Tresen, der sich inmitten seines mit gebrauchten Kleidungsstü cken voll gestopften Ladens befand, und sein langer weißer  Bart, der das Licht der beiden Petroleumlampen an der Decke auffing, glitzerte wie Schneeflocken.
    An der Wand hinter dem Tresen war ein Schild befestigt, auf dem in großen, etwas ungelenk gemalten Buchstaben stand: COMPRIAMO, VENDIAMO, CAMBIAMO – Wir kaufen, wir verkaufen, wir tauschen. Auf dem Tresen selber stand eine flache Glasvitrine, in der ein paar Uhren tickten. Daneben lag ein abgewetztes Samtkissen, vermutlich, um darauf die Schmuckstücke zu begutachten, die Signor Levi an- und verkaufte. Der größte Teil seines Geschäfts schien jedoch im Ankauf und Verkauf von alten Kleidern zu bestehen.
    Eines davon, ein grün gestreiftes Leinenkleid, hatte Angelina Zolli hinter einem roten Samtvorhang angezogen und versuchte jetzt, ihr Bild im Halbdunkel in einem fast vollständig erblindeten Spiegel zu erkennen. Sehen konnte sie kaum etwas, aber das Kleid gefiel ihr trotzdem.
    Im Grunde war es das erste richtige Kleid, das sie  überhaupt trug. Der Kittel (denn anders konnte man ihn  nicht bezeichnen), den sie normalerweise trug, war kein Kleid, eher ein bloßer Schutz gegen die Kälte, so wie die – euphemistisch Umhang genannte – Pferdedecke. Kein Wunder, dachte sie seufzend, dass man sie, so abgerissen, wie sie aussah, nicht auf die Erzherzog Sigmund gelassen hatte.
    Angelina Zolli hatte eine halbe Stunde gebraucht, um  ihre Wut über den unverschämten Matrosen (es war derje nige, der die Reling geputzt hatte) hinunterzuschlucken, eine zweite halbe Stunde, um einen neuen Plan zu entwickeln – nachdem ihr erster Anlauf so grandios gescheitert war. Das Schlimme war, dass sie dem Matrosen im Nachhinein Recht geben musste. Jemanden, der so einen Anblick  bot wie sie – wirre, schmutzige Haare, zerfetzte Leinenschuhe und als Umhang eine Pferdedecke, die auch so aussah wie eine Pferdedecke –, lässt man nicht an Bord eines Schiffes, dessen erste Klasse vorzugsweise Generalstabsoffiziere, Hofräte und hin und wieder einmal Mitglieder der kaiserlichen Familie befördert.
    Signor Levi (Angelina Zolli hatte inzwischen entschieden, dass sie ihn mochte, ganz egal, wen seine Vorfahren auf dem Gewissen hatten) war an ihre Seite getreten. Er hatte den Saum ihres linken Ärmels ein wenig herabgezupft, sodass der Ärmel jetzt bis zum Handgelenk reichte, und machte ein nachdenkliches Gesicht.
    «Die Signorina sieht aus wie eine Signorina», sagte er  schließlich. Das war nun ein komplizierter Satz, über den man lange nachdenken konnte. Der Satz brachte einerseits zum Ausdruck, dass sie unter ihrer Pferdedecke nicht wie eine Signorina ausgesehen hatte. Andererseits deutete er darauf hin, dass sie jetzt, in dem grün gestreiften Leinenkleid, aussah wie eine Signorina und damit wie sie selber.
    Vor allen Dingen aber hatte Signor Levi Signorina zu ihr gesagt, was Angelina Zolli sofort an Commissario Tron denken ließ. Wie sie überhaupt das Kleidergewölbe von  Signor Levi an den Ballsaal des Palazzo Tron erinnerte.
    Zwar war der eine Raum groß und der andere klein, aber  über beiden Räumen hing ein Geruch von Staub und Alter  und Geheimnissen.
    «Ich glaube, ich nehme das Kleid», sagte Angelina Zolli, ohne nachzudenken. Ihr war klar, dass es klüger gewesen

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