Venezianische Verlobung
wäre, den Kauf auf morgen zu verschieben und vorher das Kleid bei Tageslicht zu prüfen, aber sie hatte auf einmal den Wunsch, dieses Kleid nicht erst morgen, sondern sofort zu besitzen. Außerdem fühlte es sich – die Art, wie der Stoff sich an ihren Rücken und ihre Arme schmiegte – einfach … gut an.
Sie nahm die Augen von ihrem Spiegelbild und richtete sie wieder auf Signor Levi. Sie hoffte, dass ihre Stimme nicht allzu aufgeregt – nicht allzu gierig – klang.
«Was kostet es?», fragte sie.
Der Preis – das war die entscheidende Frage, und entsprechend lange brauchte Signor Levi, um darüber nachzudenken.
«Gib mir das, was du entbehren kannst», sagte er schließlich.
Er sah sie mit einem Blick an, den sie nicht deuten konnte, und plötzlich erinnerte sie sich daran, dass Signora Nachwischen noch etwas über die Leute gesagt hatte, deren Vorfahren den Herrn ermordet hatten. Bei denen, hatte sie gesagt, musste man bei Geschäften höllisch aufpassen. Die waren – wie hatte sie sich ausgedrückt? –, ja, richtig – die waren alle vom Stamme Nimm.
Jesus! Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie viel ein neues Kleid kostete, geschweige denn, wie viel man für ein gebrauchtes Kleid (das ihr jetzt etwas ausgeblichen vorkam) ausgeben musste. Was war, wenn sie jetzt einen Preis nannte, der viel zu hoch war? Wahrscheinlich, dachte sie, war es überhaupt ein Fehler gewesen, Signor Levi merken zu lassen, dass ihr das Kleid gefiel.
«Ich könnte Ihnen zehn Lire zahlen», sagte sie lahm.
So viel hatte sie dabei. Der Rest ihres Geldes befand sich im Palazzo Tran.
Angelina Zolli hatte ein Stirnrunzeln erwartet, eine abwehrende Geste oder ein bedauerndes Kopfschütteln. Doch stattdessen stellte Signor Levi eine Frage, die einerseits beweisen mochte, dass er ein raffinierter Händler war, die andererseits jedoch eine gewisse Berechtigung hatte. Immerhin stand der Winter vor der Tür.
«Und was ziehst du über dem Kleid an?», fragte Signor Levi. Und setzte völlig überflüssigerweise hinzu: «Du kannst zu diesem Kleid schlecht diesen Umhang tragen.»
Nein, dachte sie resigniert. Konnte sie natürlich nicht.
Schon der Gedanke, sich diese Pferdedecke über das Kleid zu hängen, war abwegig. Aber den zusätzlichen Kauf eines Mantels, den Signor Levi indirekt empfohlen hatte, würde sie sich wahrscheinlich nicht leisten können. Wenn sie sich das Kleid überhaupt leisten konnte. Dieses Kleid, das sich mit jeder Minute, in der sie es auf ihren Armen und auf ihrem Rücken spürte, angenehmer anfühlte und in dem sie aussah wie eine Signorina.
Einen Augenblick lang befürchtete sie ernsthaft, in Trä nen auszubrechen. Sie wusste, wie kläglich sich ihre Stimme jetzt anhörte, aber sie konnte es nicht verhindern. «Und wenn ich nur das Kleid nehme?»
Signor Levi runzelte die Stirn. «Um es erst im nächsten Frühjahr zu tragen?»
Da kam er plötzlich hinter seinem Tresen hervor, lief ohne ein Wort zu sagen an ihr vorbei und verschwand in den Tiefen seines Gewölbes. Als er wieder auftauchte, hatte er einen Mantel über dem linken Arm und in der rechten Hand ein Paar Stiefel. Er deponierte den Mantel und das Paar Stiefel auf dem Tresen und sah sie an – mit einem Blick, als würde er Maß nehmen oder vielleicht, dachte sie, ihre Zahlungsfähigkeit einschätzen.
«Probier den Mantel», sagte er schließlich. «Und die Schuhe auch.»
Der Mantel erwies sich als ein dunkelblauer Stoffmantel mit abgewetzten Ärmeln und einem kleinen Riss im Kragen. Der unterste Knopf des Mantels fehlte, aber als sie ihn angezogen hatte, fühlte er sich gut an.
Signor Levi hatte sie inzwischen mehrmals umrundet und kritisch betrachtet – so als wäre sie ein gebrauchtes Kleidungsstück, das man ihm zum Kauf angeboten hatte. Offenbar war er zu keinem Urteil gekommen, denn er beschränkte sich darauf zu sagen: «Und jetzt zieh die Schuhe an.»
Die Schuhe waren aus braunem, etwas morschem Leder, aber keine der Sohlen hatte ein Loch. Sie hatten erhöhte Absätze, was ihr gefiel, weil es sie größer machte, obwohl sie sich fragte, ob sie überhaupt in der Lage wäre, in solchen Schuhen zu laufen. Sie richtete sich auf und kam schwankend zum Stehen.
«Der Mantel ist zu groß», sagte Signor Levi. «Und die Schuhe auch.»
Was definitiv nicht stimmte, und nur Gott wusste, warum Signor Levi es behauptete. Der Mantel war vielleicht ein bisschen zu lang, aber zu behaupten, er sei zu groß, war Unsinn.
Weitere Kostenlose Bücher