Venezianische Verlobung
reinstes Veneziano gesprochen hatte.
Er drehte sich zur Tür und hielt unwillkürlich den Atem an.
Der Mann, der das Speisezimmer der Principessa betreten hatte und sich jetzt mit lebhaften Schritten dem Tisch näherte, so als wäre er hier zu Hause – dieser Mann sah nicht nur gut aus, er sah blendend aus. Seine hoch gewachsene Gestalt, sein dunkelbraunes, dichtes Haar und seine sonnengebräunte Haut verliehen ihm einen Einschlag ins Abenteuerliche. Alles das musste bei Frauen gut ankommen
– sodass sie notfalls wohl bereit sein würden, die Soutane des Mannes zu ignorieren. Genauso wie den Rosenkranz, den er stur in seiner rechten Hand behielt, während er Tron zur Begrüßung seine linke Hand entgegenstreckte.
Merkwürdig, dachte Tron eine halbe Stunde später, wie schnell er seine Vorbehalte gegenüber Pater Calderón – so stellte die Principessa ihren Freund vor – revidiert hatte.
Die unangenehme Vorstellung, dass zwischen der Principessa und dem Pater ein Verhältnis bestand, das Anlass zur Irri tation bieten konnte, hatte sich restlos verflüchtigt. Pater Calderón, stellte Tron fest, war ihm in gewisser Weise sogar sympathisch – trotz der gusseisernen Glaubensüberzeugungen, die der Pater kundtat und die Tron (der insgeheim zu einem jovialen Agnostizismus neigte) nicht teilte. Ebenso wenig, wie er die Empörung des Paters über die Konfiszierung der Kirchengüter teilte, die Benito Juárez vorgenommen hatte und auf die Pater Calderón bald zu sprechen kam. So fanatisch, wie sich der Pater bei diesem Thema
anhörte, konnte man fast meinen, er sei höchstpersönlich bestohlen worden. Jedenfalls wurde Tron zum ersten Mal klar, weshalb die katholische Kirche zu den engsten Verbündeten des Erzherzogs zählte: Rom erwartete von Maximilian die Rückgabe der Kirchengüter.
Schließlich brachte Tron das Gespräch auf den Grund für Pater Calderóns Anwesenheit in Venedig. «Die Principessa sagte, Sie sind Gutiérrez’ wegen nach Venedig gekommen?»
Pater Calderón sah Tron scharf an – so als würde er prü fen, auf welcher Seite dieser stand. Dann sagte er langsam:
«Wir glauben, dass Gutiérrez sowohl den Erzherzog als auch die heilige Kirche hintergeht.»
Das Tremolo, mit dem er heilige Kirche aussprach, dämpfte die anfängliche Sympathie Trons für Pater Calderón ein wenig. Er fragte: «Was bringt Sie zu dieser Annahme?»
Wieder traf Tron ein prüfender Blick aus den Augen des Paters. «Weil Gutiérrez durch einen Mittelsmann drei große Haziendas in der Nähe von San Luis Potosí gekauft hat», sagte er schließlich. «Haziendas aus enteignetem Kirchenbesitz. Wenn Maximilian Kaiser von Mexiko wird, fallen die Haziendas zurück an die Kirche. Gutiérrez hat diese Haziendas aber trotzdem gekauft.» Pater Calderón machte eine Pause. Dann fügte er grimmig hinzu: «Er kann also kein Interesse daran haben, dass Maximilian nach Mexiko geht.»
«Sie halten den Botschafter für einen Verräter?»
Was der Pater natürlich tat – das sah Tron in seinen Augen –, aber er sprach es nicht direkt aus. «Auf jeden Fall», sagte Pater Calderón vorsichtig, «steht Gutiérrez in Kontakt mit dem amerikanischen Konsul. So viel habe ich herausfinden können. Als dieser Verdacht gegen Gutiérrez aufkam, hat mich Bischof Labattista nach Venedig geschickt.
Gutiérrez durfte von meiner Anwesenheit nichts erfahren.»
Tron machte ein nachdenkliches Gesicht. «Die Vereinigten Staaten sind aufseiten der Juaristas. Kann es sein, dass Gutiérrez für die Feinde Maximilians arbeitet?»
Pater Calderón zog es vor, auch diese Frage indirekt zu beantworten. «Ich frage mich inzwischen sogar, ob er etwas mit diesem Mord zu tun hat. Diese Geschichte könnte für Maximilian ziemlich kompromittierend werden.»
Tron fand, dass der Pater erstaunlich gut informiert war.
«Woher wissen Sie, dass Anna Slataper Maximilians Geliebte war?», erkundigte er sich.
«Von Gutiérrez.» Pater Calderón lächelte. «Dass der Erzherzog eine Geliebte in Venedig hatte, war ein offenes Geheimnis.»
«Hat sich Gutiérrez sonst noch zu Anna Slataper geäu ßert?»
Pater Calderón schüttelte den Kopf. «Er hat es auch nur am Rande erwähnt.»
Tron hielt es für vertretbar, einen Teil seiner Karten auf den Tisch zu legen. Es gab keinen Grund, Pater Calderón zu misstrauen. Er sagte: «Gutiérrez kannte Anna Slataper.»
«Ist das wahr?» Pater Calderón riss die Augen auf.
Tron nickte. «Gutiérrez hat Anna Slataper in
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