Venezianische Versuchung
flatterte. „Was für ein Unmensch muss dieser Duke sein, um Sie zu tadeln!“
Jane seufzte, als ihr klar wurde, wie sehr Seine Gnaden sich von Signor di Rossi unterschied. Der eine hatte breite Schultern, ein aufbrausendes Temperament und Umgangsformen, die man häufig nur als arrogant oder sogar rücksichtslos bezeichnen konnte. Der andere war ebenfalls temperamentvoll, dabei jedoch höflich, zuvorkommend und im Übrigen eher schmal. Vielleicht hätte man Aston mit einem Löwen und den Venezianer mit einem Geparden vergleichen können.
„Der Duke hat allen Grund, mit mir unzufrieden zu sein. Er ist nach Venedig gekommen, um seine Töchter zu sehen. Ich jedoch habe es versäumt, meine Schützlinge herzubringen.“
„Wir wissen beide, dass es die Entscheidung der jungen Damen war. Sie, Miss Wood, trifft keine Schuld. Dieser Engländer hat keinen Grund, Sie hinauszuwerfen.“
„Noch hat er mich nicht vor die Tür gesetzt. Ich selbst habe gekündigt. Das war unumgänglich, da ich der Aufgabe, die er mir gestellt hatte, nicht gerecht geworden bin.“
Signor di Rossi starrte sie sichtlich verwirrt an. „Haben die beiden Damen es nicht Ihnen zu verdanken, dass sie jetzt glücklich verheiratet sind? Welch edlere Aufgabe hätten Sie erfüllen sollen, Miss Wood?“
Traurig zuckte sie die Schultern. Sie liebte ihre ehemaligen Schützlinge und hätte es niemals mit ihrem Gewissen vereinbaren können, sich ihrem Glück in den Weg zu stellen. Doch Seine Gnaden liebte die beiden auch. Und als ihr Vater hatte er natürlich andere Rechte als eine einfache Gouvernante. Also sagte sie: „Ich bin sehr froh, dass es Lady Mary und Lady Diana gut geht. Aber ich habe nie in ihren Diensten gestanden. Mein Herr war stets der Duke. Er entscheidet darüber, was ich zu tun habe. Leider habe ich seinen Befehlen zuwidergehandelt.“
„Mir erscheint das alles überaus ungerecht“, stellte Signor di Rossi fest. „Wie kann dieser Engländer Sie für etwas bestrafen, das seinen Töchtern nur zum Vorteil gereicht?“
„Er sieht das anders. Er hat mir die Mädchen anvertraut, und ich habe sein Vertrauen enttäuscht. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie ohne die Zustimmung ihres Vaters vor den Altar traten.“
„Es ist keine Sünde, jemanden zu heiraten, den man liebt!“
Jane seufzte. „Für die Töchter eines englischen Adligen gehört es sich nicht, sich über die Wünsche ihres Vaters hinwegzusetzen, nicht einmal der Liebe wegen.“
„Welch merkwürdige Einstellung! Sie erinnert mich an eine Geschichte aus dem alten Rom. Einer der Herrscher ließ einen Boten töten, weil er schlechte Nachrichten brachte.“
„Das hat sich in Sparta zugetragen, nicht in Rom“, entfuhr es Jane. Sie errötete und meinte entschuldigend: „Verzeihen Sie, ich kann nicht anders. Als Gouvernante bin ich so daran gewöhnt, Fehler zu korrigieren …“
„Cara mia!“ Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Sie sind in erster Linie eine Frau und dann erst eine Gouvernante.“
Janes Wangen färbten sich noch ein wenig dunkler. Signor Rossi hatte sie cara mia, meine Liebe, genannt. Natürlich hatte sie schon vor Monaten begriffen, dass die meisten Gentlemen in Frankreich oder Italien mit Kosenamen viel großzügiger umgingen als die Engländer. Doch dieses ‚cara mia‘ schien mehr zu bedeuten. Im ersten Moment wurde ihr warm ums Herz, aber natürlich durfte sie sich keinen unsinnigen Hoffnungen hingeben. Dann allerdings wurde ihr bewusst, wie unpassend es war, von einem venezianischen Gentleman mit Kosenamen bedacht zu werden.
Freundlich erklärte sie: „Die letzten Wochen waren sehr schön für mich, Signore. Ich habe es sehr genossen, Zeit für Gespräche mit Ihnen zu haben. Doch jetzt muss ich mein normales Leben wieder aufnehmen. Das bedeutet, dass ich mir so schnell wie möglich eine neue Stellung suchen muss.“
„Ah, Sie machen einen Fehler, wenn Sie es für unwichtig halten, sich mit den Kunstwerken zu beschäftigen, die die größten Maler und Bildhauer uns hinterlassen haben. Die Empfindungen, die diese Werke in uns wecken, zählen mehr als alles Bücherwissen. Gelehrsamkeit ist gut, aber wem nützt es letztendlich, ob man sich an einzelne geschichtliche Begebenheit erinnern kann?“
„Kunst ist etwas Wunderbares, darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber ich muss eine Arbeit finden, wenn ich nicht hungern will.“ Jane schaute den reichen, von weltlichen Sorgen unberührten Venezianer an, und eine tiefe Traurigkeit
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