Venezianische Versuchung
verbarg Miss Wood zweifellos den reizvollen Körper einer attraktiven Frau. Es würde leicht sein, eine Situation herbeizuführen, in der er sie ihrer Kleidung berauben konnte. Denn in ihrer Unerfahrenheit glaubte sie gewiss fest an das Gute im Menschen.
Sie hält mich für einen edelmütigen Freund, dachte er zufrieden, es wird erregend sein, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Jane hatte sich auf dem äußersten Rand des Stuhls niedergelassen. So sehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr einfach nicht gelingen, entspannt auf einem der zierlichen vergoldeten Stühle in Signor di Rossis Salon zu sitzen. Einen dieser kunstvoll verzierten Stühle zu beschädigen wäre schrecklich. Sie waren zweifellos sehr alt und wertvoll. Und sie sahen so aus, als müssten sie unter dem Gewicht einer erwachsenen Person zusammenbrechen.
Ungeduldig holte sie ihre Uhr hervor und warf einen kurzen Blick auf das Zifferblatt. Sie hätte wissen müssen, dass ein Besuch zu so früher Stunde in Venedig unüblich war. Vornehme Venezianer pflegten erst gegen Mittag aufzustehen. Und Signor di Rossi war sehr vornehm, sehr kultiviert, ein echter Gentleman eben. Ihr gegenüber hatte er sich immer überaus liebenswürdig verhalten. Deshalb würde er ihr – wie sie hoffte – ihr Erscheinen zu so unpassender Zeit wohl verzeihen. Sie hatte keine Wahl gehabt: Später hätte sie keine Möglichkeit mehr gefunden, ihm zu danken und sich von ihm zu verabschieden. Es war ihr sehr wichtig, noch einmal mit ihm zu sprechen. Denn in den vergangenen Wochen war er der beste Freund geworden, den sie sich nur hätte wünschen können. Er hatte ihr viele wundervolle Kunstwerke gezeigt, und die Gespräche mit ihm waren sehr interessant gewesen. Ja, sie hatte die Stunden mit ihm wirklich genossen.
Von Unruhe geplagt, strich sie ihren Rock glatt. Sie hatte an diesem Morgen schon viel von dem geschafft, was sie sich vorgenommen hatte. Vor allem war sie sich darüber klar geworden, wie ihr Leben aussehen sollte, wenn sie nicht mehr für Seine Gnaden arbeitete. Sie würde in Venedig bleiben und versuchen, hier eine Stellung zu finden. Vermutlich war das einfacher, als sich in der Heimat um eine neue Position zu kümmern, denn gewiss würde der Duke ihr kein gutes Zeugnis ausstellen nach allem, was vorgefallen war. Im Übrigen fehlte ihr das Geld für die teure Reise nach England.
Es war klüger, die Hilfe des britischen Gesandten in Venedig in Anspruch zu nehmen. Also hatte sie das als Erstes getan. Er hatte versprochen, sich umzuhören, wer eine Gouvernante oder eventuell eine Gesellschafterin suchte. Auch hatte er ihr die Adresse einer verwitweten Dame aus Schottland gegeben, die saubere und dabei preisgünstige Zimmer vermietete.
„Buon giorno, Miss Wood.“ Signor di Rossi hatte den Salon betreten. Seine Haltung vermittelte das unaufdringliche Selbstbewusstsein, das so typisch für Mitglieder alter vornehmer Familien war. „Sie ahnen ja nicht, welche Freude Sie mir mit Ihrem Besuch machen.“
An englischen Maßstäben gemessen, sah er mit seinem dunklen Teint und den exotischen Gesichtszügen nicht besonders gut aus. Doch Jane fand, dass er für einen Italiener nahezu perfekt war. Er mochte etwas über dreißig sein und kleidete sich am liebsten ganz in Schwarz. Auch jetzt trug er einen dunklen mit goldenen und roten Seidenfäden bestickten Morgenmantel über einer schwarzen Hose. Im blassen Licht der Wintersonne leuchtete die goldene Stickerei.
Der Anblick des Venezianers erinnerte Jane eher an einen sagenumwobenen König als an einen Gentleman, der noch nicht vollständig angekleidet war. Auch di Rossis Gesichtszüge hatten etwas Majestätisches. Die vorspringende schmale Nase, die tief liegenden dunklen Augen, die hohen Wangenknochen, die fein geschwungenen Lippen ließen ihn irgendwie edel wirken. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er sein schwarzes Haar im Nacken einfach mit einem Bändchen zusammengebunden hatte.
Jane erhob sich und knickste. Doch schon hatte Signor di Rossi nach ihrer Hand gefasst. Sanft zog er sie an die Lippen.
„Sie sind sehr liebenswürdig, Signore“, sagte Jane und errötete ein wenig, weil er ihre Hand noch immer festhielt. In England hätte man das als aufdringlich empfunden. Doch in Italien galten andere Regeln. „Sie waren stets so überaus freundlich.“
Endlich gab er ihre Finger frei und bedeutete ihr, dass sie Platz nehmen solle. „Es ist doch selbstverständlich, dass Freunde einander mit der
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