Venezianische Versuchung
und runzelte die Stirn. Er hatte sie schelten wollen, weil sie einfach davongelaufen war. Sie hatte kein Recht dazu. Solange sie in seinem Dienst stand, musste sie ihn zumindest um Erlaubnis fragen. Doch nein, das stimmte so nicht. Eigentlich hatte er nicht mit ihr schimpfen, sondern ihr sagen wollen, welch große Sorgen er sich um sie gemacht hatte. Als ihr Arbeitgeber war er für sie verantwortlich, nicht wahr? Ja, genau darum ging es. Er war stets stolz darauf gewesen, dass er sich so verantwortungsvoll um alle kümmerte, die zu seinem Haushalt gehörten.
Doch zum zweiten Mal musste er zugeben, dass das so nicht stimmte. Es war komplizierter. Beim Frühstück mit Miss Wood hatte er sich besser amüsiert als seit Jahren, und auch die Fahrt in der Gondel hatte er sehr genossen. Es war angenehm gewesen, der ehemaligen Gouvernante zuzuhören. Sie hatte – was er früher nie bemerkt hatte – eine wunderschöne Stimme. Und wie ihre Augen im blassen Licht der Wintersonne geleuchtet hatten! Er hatte sich in ihrer Gesellschaft so wohlgefühlt, dass er tatsächlich mit ihr über seine verstorbene Gattin gesprochen hatte. Noch nie hatte er mit irgendwem über Anne gesprochen. Auch hätte er niemals gedacht, dass es ihm auf diese seltsam bittersüße Art guttun würde.
Auch Miss Woods Geschichte hatte ihn berührt. Fasziniert hatte er dem Bericht über ihre verlorene Liebe gelauscht und sich gefreut, dass sie ihm so viel Vertrauen entgegenbrachte. Er wusste, dass Frauen über diese Dinge höchstens mit anderen Frauen redeten. Zudem war Miss Wood ihm stets besonders verschlossen vorgekommen. Er hätte gern mehr über sie erfahren. Doch dann hatte sie plötzlich und völlig unerwartet darauf bestanden, das Boot zu verlassen. Er hatte versucht, sie zurückzuholen. Aber er kannte sich in Venedig nicht aus, und ihr Vorsprung war groß gewesen.
Während er in der Ca’ Battista zutiefst beunruhigt auf ihre Rückkehr wartete, hatte er vorgehabt, ihr all das zu sagen. Er hatte ihr auch erklären wollen, dass es nie seine Absicht gewesen war, sie zu verletzen. Er hatte beschlossen, sich zu entschuldigen, und das war etwas, das ihm nur sehr selten in den Sinn kam. Dabei wusste er nicht einmal, was er falsch gemacht hatte. Womit hatte er Miss Wood so gekränkt? Er war sich keiner Verfehlung bewusst. Dennoch war er bereit gewesen, die gesamte Schuld auf sich zu nehmen. Sein Gewissen ließ ihm keine andere Wahl, denn er hatte Janes Gesichtsausdruck gesehen in dem Moment, bevor sie aus der Gondel sprang.
Noch nie war es ihm so unwichtig erschienen, recht zu haben, und so wichtig, alles richtig zu machen.
Über all diese Dinge hatte er mit Miss Wood sprechen wollen und auch noch über ein paar andere. Er hatte eine Rede vorbereitet, in der alles erwähnt wurde, hatte die Sätze laut vor sich hingesagt, sie wieder und wieder umformuliert, bis er endlich zufrieden war. Doch jetzt, da er Miss Wood gegenüberstand, wollte ihm nicht ein einziges Wort einfallen.
Sie schien das zum Glück nicht zu bemerken. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, eine Rede zu halten, die sie selbst vorbereitet hatte.
„Euer Gnaden“, begann sie und hob das Kinn ein wenig, „bitte, vergeben Sie mir, dass ich vor Ihnen das Wort ergreife. Ich möchte mich entschuldigen für das, was ich getan habe.“
Ein wenig verwirrt nickte Aston und bedeutete ihr, sich auf einem der Stühle niederzulassen. Sie reagierte nicht darauf. Vielleicht hatte sie seine Handbewegung missdeutet, vielleicht hatte sie sie gar nicht gesehen. Da er gesellschaftlich über ihr stand, hätte er es sich trotzdem bequem machen können. Ein Duke brauchte schließlich nicht die Befindlichkeiten einer Gouvernante zu berücksichtigen, er konnte sich setzen, wann auch immer er wollte.
Er tat es nicht. Er wollte nicht wie jemand auftreten, der sich ihr überlegen fühlte. Außerdem lag ihm viel daran zu erkennen, welche Empfindungen Miss Woods Gesicht widerspiegelte. Also blieb er dicht vor ihr stehen.
Dann begriff er, aus welchem Grund er sich nicht setzen wollte: Wenn sie beide standen, fühlte er sich ihr innerlich näher. Ja, es war fast, als seien sie einander ebenbürtig, als seien sie nicht Duke und Gouvernante, nicht Herr und Bedienstete, sondern einfach ein Mann und eine Frau. Wahrhaftig, als Mann fand er diese Frau von Sekunde zu Sekunde attraktiver.
Sie holte tief Luft, und ihre Brüste zeichneten sich deutlich unter dem einfachen grauen Wollkleid ab.
„Ich möchte Sie um
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