Venezianische Versuchung
herablassend und ungerecht behandelt.“
„Nein.“ Das hatte er wirklich nicht! Es war sehr freundlich von ihm gewesen, ihr zu gestehen, dass er ihre Augenfarbe bemerkt hatte. Blau wie der Rittersporn im Garten von Aston Hall … Sie konnte sich plötzlich ganz genau an die Blumen erinnern. Und ja, ihre Augen hatten die gleiche Farbe, ein ungewöhnliches Blau mit einem Hauch von Grau darin.
Ihr Vater hatte einmal gesagt, er müsse an Zinn denken, wenn er ihr in die Augen schaute. Den Vergleich hatte sie nicht gemocht. Rittersporn gefiel ihr viel besser. Und schöneren als den im Garten von Aston Hall hatte sie nie gesehen. Seine Gnaden vermutlich auch nicht. Jedenfalls beharrte er stets darauf, dass alles, das zu seinem Besitz gehörte, schöner und besser sei als anderswo.
Der Duke hatte gelächelt, als er ihr das nette Kompliment gemacht hatte. Und nun, als Jane daran dachte, huschte auch über ihr Gesicht ein Lächeln. Ihr fiel ein, wie interessiert er ihren Worten gelauscht hatte, als sie ihr Wissen über den Campanile mit ihm teilte. Er hatte sich überhaupt nicht arrogant und herablassend benommen.
Es war dumm gewesen, vor ihm fortzulaufen. Jetzt würde sie ihn um Verzeihung bitten und auf seine Güte hoffen müssen.
„Vergeben Sie mir, Signore, für mich ist es an der Zeit aufzubrechen.“ Sie erhob sich. „Ich muss in die Ca’ Battista zurückkehren. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit mir gegenüber.“
„Was ist los, cara?“, fragte er überrascht und stand ebenfalls auf. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Aber nein, Signore! Im Gegenteil, Sie haben genau das Richtige gesagt.“ Einer Eingebung folgend griff sie nach seiner Hand und drückte sie kurz. Sie wollte ihm so gern zu verstehen geben, wie sehr sie sein Mitgefühl zu schätzen wusste. „Danke!“
Und dann, ehe er sie zurückhalten konnte, war sie schon durch die Tür hinaus auf den Markusplatz geeilt. Die Kälte traf sie nach der angenehmen Wärme im Café wie ein Schlag. Ein Schauer überlief sie. Doch sie lief entschlossen weiter. Sie wollte sich so bald wie möglich bei Seiner Gnaden entschuldigen.
„Die Signora ist schon gegangen?“, vergewisserte der Kellner sich. Unschlüssig hielt er eine Kanne mit heißer Schokolade in der Hand.
„Sie musste fort“, bestätigte di Rossi. Er bedauerte, dass Miss Wood ihn so überstürzt verlassen hatte. Es würde eine Weile dauern, bis sie zu ihm zurückkehrte. Er kannte sie gut genug, um das zu wissen. Ihre Dickköpfigkeit gehörte zu jenen Eigenschaften an ihr, die er nicht besonders schätzte.
Es war voreilig gewesen anzunehmen, dass sie ihm nicht mehr entkommen würde. Dabei hatte er ihr doch ganz selbstlos geholfen, und kaum etwas beeindruckte eine Frau mehr als ritterliches Verhalten. Er war sich ihrer Dankbarkeit sicher gewesen, hatte geglaubt, er brauche sich nur noch zu nehmen, wonach er sich sehnte. Ihre vollen ungeschminkten Lippen hatten nur darauf gewartet, von ihm geküsst zu werden, oder nicht? Verflucht, er selbst hatte alles zerstört. Er hatte etwas Falsches gesagt und seine kleine Gouvernante verloren.
Natürlich nicht für immer. Er vertraute darauf, dass sie seinen Verführungskünsten auf Dauer nichts entgegenzusetzen hatte. Das Auftauchen des Dukes war ein Erschwernis, das es zu überwinden galt. Nun, er würde einen neuen Plan entwerfen und früher oder später an sein Ziel gelangen. Schade, dass dieser Engländer solche Macht über Miss Wood hatte. Aber diese Macht ließ sich brechen.
Nachdenklich trank di Rossi einen Schluck Schokolade. Einen Moment lang fragte er sich, ob der Duke das englische Täubchen wohl schon entjungfert hatte. Nein, unmöglich. Jane Wood war bestimmt noch unberührt. Der Duke mochte sie begehren – und selbst das war keineswegs sicher –, besessen hatte er sie jedenfalls nicht.
Dieses Vergnügen wird mir zufallen, sagte di Rossi sich voller Vorfreude.
Er stellte die Tasse ab, warf ein paar Münzen auf den Tisch und verließ ebenfalls das Café.
9. KAPITEL
R ichard Farren, Duke of Aston, warf das Buch, in dem zu lesen er vorgegeben hatte, auf den Tisch. „Wilson, wo, zum Teufel, steckt Miss Wood?“
„Verzeihen Sie, Euer Gnaden, aber woher soll ich wissen, wo sie sich verkriecht?“ Der Bedienstete stellte das Tablett mit dem Tee des Dukes ab. Seine Miene verriet, wie gereizt und unzufrieden er war. Womit hatte er verdient, dass Aston seine schlechte Laune an ihm ausließ? „Diese Ausländerin, der das Haus
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