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Venezianische Versuchung

Venezianische Versuchung

Titel: Venezianische Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MIRANDA JARRETT
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tatsächlich war ihr, als sähe sie den Kanal, die Häuser, den nächtlichen Himmel zum ersten Mal.
    Richard stand jetzt so hinter ihr, dass er ihre Schultern mit den Händen umfassen konnte. Der Mond würde bald untergehen, und die Sterne verblassten bereits. Im Osten war ein etwas hellerer Streifen am Horizont zu erkennen, der erste Hinweis auf die nahende Dämmerung. Bald würden die Schatten der Nacht nicht mehr sein als eine Erinnerung.
    „Die Welt steht niemals still, Jane“, sagte er. „Ob wir es nun wollen oder nicht. Und manchmal ist es wohl am besten so.“
    Es war nicht seine Absicht gewesen, jetzt an Anne zu denken, ganz gewiss nicht! Und doch hatte er es getan. Allerdings war es diesmal anders als sonst. Der alte Schmerz hatte seine Schärfe verloren. Ein seltsames Gefühl von Freiheit breitete sich in ihm aus. Ja, es war an der Zeit etwas zu ändern. Natürlich würde er weiter um Anne trauern. Aber er musste sie endlich gehen lassen. Lange genug war sein Herz in dieses Gefängnis aus Kummer eingesperrt gewesen.
    Konnte diese Veränderung die Folge eines einzigen Kusses sein? Konnte Jane dieses Wunder vollbracht haben, ohne auch nur etwas davon zu ahnen?
    Mit einem Nicken bestätigte sie seine Worte und drehte den Kopf dann so, dass sie die Wange an Richards Hand schmiegen konnte. „Ja, alles ist in einem ständigen Wandel begriffen. Wir haben mindestens zwei Wochen, ehe die jungen Damen und ihre Gatten zu uns stoßen.“
    „Zwei Wochen …“ Er beugte sich vor, um ihre Stirn zu küssen. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Ich werde jede Minute dieser Zeit hüten wie einen Schatz.“
    Unwillkürlich hob sie die Hand an die Stirn und berührte mit den Fingerspitzen die Stelle, die er mit den Lippen liebkost hatte. „Wir werden jede Minute bewusst erleben. Eine nach der anderen. Was könnten wir auch sonst tun?“ Sie drehte sich um, stellte sich auf die Zehenspitzen und presste die Lippen auf Richards Wange.
    Es war eine Berührung, die in ihm den Wunsch nach mehr weckte. Er betrachtete Janes Gesicht und stellte erleichtert fest, dass sie keine Tränen vergossen hatte.
    Gerade wollte er sie noch einmal küssen, als in der Nähe ein Hahn laut krähte, um den neuen Tag zu begrüßen.
    Jane begann zu lachen, und auch über Richards Gesicht huschte ein Lächeln.
    „Ich schwöre, dass ich sogar die Erinnerung an diesen Moment, an diesen den Tag begrüßenden Hahn wie einen Schatz hüten werde.“
    „Dann sind wir uns ja einig.“ Richard ergriff ihre Hand. „Kommen Sie, es ist an der Zeit, in die Ca’ Battista zurückzukehren. Ich glaube, dieser Gockel wollte uns mitteilen, dass das Frühstück bald fertig ist.“

12. KAPITEL
    S olange der Mond schien, hatte alles richtig und passend, ja sogar beinahe vollkommen gewirkt. Doch als die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durchs Fenster in ihr Schlafzimmer fanden – Jane kroch gerade erst unter die Bettdecke –, schien nichts mehr richtig oder gar vollkommen zu sein.
    Ihr Gewissen plagte sie so sehr, dass an Schlaf nicht zu denken war, obwohl sie sich unvorstellbar erschöpft fühlte. Sie rollte sich unter dem schweren Federbett zusammen und beobachtete das Spiel von Licht und Schatten an der Zimmerdecke. Sie wusste, dass es entstand, wenn die Sonne sich im bewegten Wasser des Kanals spiegelte. Doch daran dachte sie jetzt nicht. All ihre Gedanken kreisten um Richard. Was, um alles in der Welt, war in der vergangenen Nacht zwischen ihr und ihm geschehen?
    Richard … Es war erstaunlich einfach gewesen, ihn nicht mehr mit Euer Gnaden, sondern mit dem Vornamen anzusprechen. Dabei war es doch kaum eine Woche her, dass sie voller Ehrfurcht zu dem mächtigen Duke of Aston aufgeschaut hatte. Sie hatte sich davor gefürchtet, dass er ihre Urteilsfähigkeit und ihre Entscheidungen bezüglich seiner Töchter nicht gutheißen würde. Nun aber, nach einer einzigen Vollmondnacht und nach zwei Gläsern Wein, hatte sie ihre Scheu ihm gegenüber verloren. Sie nannte ihn Richard, und sie hatte ihn geküsst.
    Ja, sie hatte ihn geküsst. O Gott, zu welchen Dummheiten hatte sie sich im verführerischen Mondlicht hinreißen lassen!
    Jane stöhnte, dreht sich auf den Bauch und presste das Gesicht in die Kissen. Nichts Gutes konnte aus dem werden, was sie getan hatte. Ein törichtes Techtelmechtel … Wenn sie doch nur nicht beschlossen hätte, sich während ihres Aufenthalts in Venedig weniger zurückhaltend zu geben, als es im Allgemeinen ihrem Wesen entsprach! Sie hatte

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