Venezianische Versuchung
finden wir die nächste Brücke?“
„Gleich auf der anderen Seite des Hofs.“ Unwillkürlich flüsterte Jane, um die Ruhe nicht zu stören.
„Gut, bringen Sie mich hin. Diese Stadt ist gefährlich für Fremde; ich möchte nicht riskieren, ins Wasser zu fallen.“
Jane nickte. Man musste bei Nacht wirklich sehr vorsichtig sein. Sorgfältig auf den Weg achtend, schritt sie Richard voraus.
Es war nicht weit bis zu ihrer Lieblingsbrücke. Die weißen Steine, aus denen das Brückchen errichtet war, schienen im Mondlicht zu strahlen. Wie ein Bogen wölbte sich das Bauwerk, damit die Gondeln darunter herfahren konnten. Stufen führten hinauf. Richard nickte zufrieden. Andere ausländische Besucher mochten das Brückchen übersehen, und gewiss gehörte es nicht zu jenen Schönheiten Venedigs, die den berühmten Maler Canaletto zu seinen Gemälden inspiriert hatten.
„Das gefällt mir“, stellte er fest, während er gemeinsam mit Jane die Stufen hinaufstieg. Oben angekommen, legte er ihr die Hand leicht auf den Rücken und drehte sie sanft um, sodass sie in Richtung des Canal Grande schaute. Die Wasseroberfläche war dunkel und überraschend glatt. Mond und Sterne spiegelten sich darin.
Tief atmete Jane die kühle Luft ein, die nach Meersalz und einer Mischung all jener Gewürze und sonstigen Handelswaren duftete, die so typisch für die Stadt waren. Als Richard seine Hand langsam über ihren Rücken wandern ließ, rührte sie sich nicht. Alles kam ihr so unwirklich vor, dass sie zu träumen glaubte. Sie hatte immer gespürt, dass Venedig voller Magie war. Doch jetzt empfand sie den Zauber noch deutlicher als sonst. Die Düfte, die Stille, die Schönheit, die verführerische Kraft, die von all dem ausging …
Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben drängte es sie nicht danach, das zu tun, was sich gehörte. Zum ersten Mal war sie wirklich bereit, sich dieser verführerischen Kraft zu öffnen. Sie ahnte, was geschehen würde. Das Verhalten des Dukes war ziemlich eindeutig gewesen. Und sie hatte nichts getan, um ihn in seine Schranken zu weisen. Denn dieses eine Mal wollte sie nicht auf die Vernunft, sondern auf ihre Gefühle hören.
Dieses eine Mal, hier in Venedig, wollte sie dem Traum von der Liebe nachgeben.
11. KAPITEL
E s war viele Jahre her, dass Richard einer Frau auf diese Weise nahe gekommen war. Er stand hinter ihr und hatte die Arme schützend um sie geschlungen.
Seine schon so lange verlorene Gattin war groß gewesen, dabei biegsam und graziös wie eine Tänzerin. Jane wiederum war klein und so zurückhaltend, dass sie fast ein wenig steif wirkte. Sie zu umarmen war ganz anders, als Anne an sich zu ziehen.
Mehr als zehn Jahre lang war er davon überzeugt gewesen, dass es niemals eine Frau geben würde, die Anne den Platz in seinem Herzen streitig machen könnte. Er glaubte das noch immer. Deshalb hatte er sich auch längst damit abgefunden, keine Söhne zu haben. Sein Bruder Peter würde ihn beerben. Und nach Peter dessen ältester Sohn. Der Besitz würde in der Familie bleiben, und er würde gut geführt werden. Das war beruhigend. Trotzdem war hin und wieder der Wunsch nach einem eigenen Sohn aufgeflackert. Doch er hatte ihn stets rasch beiseitegeschoben, denn eine zweite Ehe war für ihn unvorstellbar.
Dabei war es ihm vollkommen gleichgültig, dass die meisten jungen Damen in England genau wie ihre Mütter es für unnormal hielten, wenn ein Duke in den besten Jahren sich dafür entschied, nicht zu heiraten, sondern allein zu bleiben.
Doch seit er in Venedig war, begannen die Dinge sich zu ändern. Jane Wood hatte seine Zuneigung schneller gewonnen, als er jemals für möglich gehalten hätte. Und er wäre jede Wette darauf eingegangen, dass sie genauso überrascht darüber war wie er. Sie hatte nie versucht, ihn zu verführen, was zu den Dingen gehörte, die er besonders anziehend an ihr fand. Noch mehr allerdings beeindruckte ihn ihr Verhältnis zu seinen Töchtern. Sie sprach über die Mädchen mit so viel Liebe, als seien es ihre eigenen Kinder.
Doch Jane war nicht nur eine liebevolle, sondern auch eine interessante Frau. Von jeher hatte Richard ihre Klugheit und ihr nachdenkliches Wesen gemocht. Auch hatte er es geschätzt, wie offen und direkt sie mit ihm sprach. Aber erst seit Kurzem fand er, dass sie die schönste Frau auf Erden war, wenn sie ihn errötend anschaute. Wie seltsam, dass er ihre Schönheit und ihren Charme in Aston Hall nie bemerkt hatte! Offenbar hatte er diesen
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