Venezianische Versuchung
die Tage, die ihr blieben, ehe sie eine neue Stellung antrat, genießen wollen. Natürlich hatte sie nie vorhabt, sich leichtfertig zu benehmen. Allerdings hatte sie sich gesagt, dass gegen ein bisschen Unternehmungslust nichts einzuwenden sei.
Verflixt, sie hatte sich wie eine Närrin verhalten! Ohne jede Scham hatte sie Richard erklärt, dass sie ihn küssen wolle. Sie war sogar so kühn gewesen, ihre Absicht in die Tat umzusetzen! Am schlimmsten jedoch war, wie sehr es ihr gefallen hatte. Es hatte ihr besser gefallen als alles, was sie je in ihrem Leben getan hatte. Sie hatte Richards Gesellschaft genossen. Es war wundervoll gewesen, mit ihm zu speisen, sich mit ihm zu unterhalten, mit ihm durch die mondhelle Nacht zu spazieren, sich von ihm umarmen zu lassen. Und die süßen unsinnigen Worte, die er ihr ins Ohr flüsterte, hatten ihr Herz schneller schlagen lassen.
In Erinnerung daran stöhnte sie erneut auf. Welcher Dämon war in sie gefahren und hatte sie dazu gebracht, sich so schamlos aufzuführen? Ja, es war eindeutig ihr Fehler. Es konnte gar nicht anders sein, weil der Duke immer ein Muster an Rechtschaffenheit und Zurückhaltung gewesen war.
In all den Jahren, die Jane in Aston Hall gelebt hatte, hatte er nie auch nur einem Zimmermädchen einen Klaps auf den Po gegeben. Seine Bediensteten wunderten sich alle ein wenig darüber, wie sehr er die Erinnerung an die verstorbene Duchess ehrte. Nie hatte er in Erwägung gezogen, erneut zu heiraten. Keiner der jungen Damen, die ihn auf Bällen und anderen Gesellschaften umschwärmt hatten, war es je gelungen, ihn zu mehr als einem Tanz zu überreden. Anders als die meisten seiner Standesgenossen hielt er sich auch keine Mätresse in London. Das hatte Wilson, der es wissen musste, den anderen Dienern und Dienstmädchen immer wieder versichert.
Wie seltsam, dachte Jane, dass er gerade jetzt sein Verhalten geändert und mich im Mondlicht geküsst hat. Sicher, er hatte eine Menge von dem köstlichen Valpolicella getrunken. Auch herrschte bei Mondschein eine besonders verführerische Atmosphäre in der Lagunenstadt. Ja, so musste es sein: Der Wein und die romantische Umgebung hatten zusammengewirkt. Mein zweifelhafter Charme, versicherte Jane sich immer wieder, hatte gar nichts damit zu tun. Richard war betrunken gewesen, und sie war zur Stelle gewesen und willig.
Ob er das Vorgefallene jetzt ebenso tief bedauerte wie sie? Würde er so tun, als sei nichts geschehen? Oder würde er sich entschuldigen? Möglicherweise würde er sie entlassen, weil sie sich wie eine leichtfertige Frau angeboten hatte. Dann würde sie – so wie sie befürchtet hatte, als er in Venedig eintraf – allein und ohne eine Arbeitsstelle in einer fremden Stadt sein.
So sehr Jane sich auch mit Selbstvorwürfen quälte, sie war nach der durchwachten Nacht müde. Daher fielen ihr irgendwann die Augen zu. Ein paar Stunden lang schlief sie so fest, dass Signora della Battista lange und laut an die Schlafzimmertür klopfen musste, um sie zu wecken. „Wachen Sie auf, Miss! Und beeilen Sie sich, bitte. Seine Gnaden wird schon ungeduldig.“
„Seine Gnaden? Oh …“ Ihre Stimme klang verschlafen, doch Jane war bereits hellwach. „Einen Moment, Signora. Ich mache sofort auf.“
Sie sprang so schwungvoll aus dem Bett, dass das Plumeau auf dem Boden landete. Ohne darauf zu achten, lief sie mit nackten Füßen zur Tür und schob den Riegel zurück.
Im Flur wartete die Signora mit einem Tablett, auf dem ein Teller mit Keksen, Geschirr, Milch, Zucker und eine Kanne mit dampfendem Tee standen. „Wissen Sie, wie spät es ist, Miss?“, fragte sie in vorwurfsvollem Ton, während sie das Tablett zu dem Tischchen am Fenster trug, um es dort abzusetzen. „Um diese Zeit sind nur die diejenigen noch im Bett, die unter einer Krankheit leiden oder ein ausschweifendes Leben führen.“
„Es tut mir leid“, murmelte Jane und gähnte herzhaft. Sie hatte das Federbett aufgehoben und es sich wie ein Tuch um die Schultern gelegt. „Ich bin spät zu Bett gegangen und fühle mich noch immer schläfrig.“ Aber natürlich durfte sie den Duke nicht warten lassen. Geduld gehörte nicht zu seinen Stärken. Sie würde sich beeilen müssen.
„Sehr spät“, sagte die Signora auf Italienisch. Sie wollte Tee eingießen, stellte jedoch fest, dass der Griff der Teekanne zu heiß war. Also benutzte sie den Stoff ihres Rocks wie einen Topflappen. „Sehr spät“, wiederholte sie, diesmal auf Englisch. „Sie waren
Weitere Kostenlose Bücher