Venezianische Versuchung
wecken.
Wie wundervoll das tief ausgeschnittene Kleid ihre Brüste zur Geltung brachte! So, als warteten sie nur darauf, liebkost zu werden. Als er Janes Zimmer betreten hatte, war er einen Moment lang versucht gewesen, auf den Ball zu verzichten, die Geliebte zum Bett zu tragen und sie ganz zu der Seinen zu machen. Doch dann hatte er sich zusammengerissen und ihr den weiten Umhang um die Schultern gelegt. Sie selbst hatte die Maske aufgesetzt und sich die Kapuze über den Kopf gezogen.
Jetzt, da der Umhang sich bei einer wilden Drehung weit öffnete, fiel Richards Blick erneut auf Janes Brüste. Wahrhaftig, die Venezianer verstanden es, Kleider zu schneidern, die mehr über den Körper einer Frau verrieten, als für den Seelenfrieden eines Mannes gut war!
Der letzte Ton der Melodie verklang. Jane machte einen kleinen Knicks. Atemlos lachend hob sie den Kopf, um Richard in die Augen zu schauen. „Ich kann nicht mehr“, erklärte sie, „diese Frauen haben mich so fest geschnürt, dass ich kaum zu atmen vermag.“
Ehe er etwas darauf erwidern konnte, trat ein Mann auf Jane zu, griff nach ihrer Hand und sagte ein paar Worte im venezianischen Dialekt. Zorn wallte in Richard auf, er trat zwischen die beiden und sagte abweisend: „Seien Sie nicht unverschämt! Lassen Sie die Dame in Ruhe!“
Der Mann zuckte die Schultern. Dann wandte er sich ab, um sich eine andere Tanzpartnerin zu suchen.
„Er wollte doch nichts Böses“, meinte Jane beschwichtigend. „Er hat mich lediglich um einen Tanz gebeten.“
„Ich traue diesen Venezianern nicht. Sie könnten alle möglichen ungehörigen Dinge im Sinn haben“, antwortete Richard. Er war froh, dass er – was unter dem Umhang niemand sehen konnte – seinen Degen umgegürtet trug. Möglicherweise wusste nicht einmal Jane davon. Er aber fühlte sich auf jeden Fall sicherer so. Einige seiner Bekannten hatten ihn ausdrücklich davor gewarnt, Venedig für eine Stadt ohne Schurken zu halten. Hinter all der Fröhlichkeit und der scheinbaren Leichtigkeit des Lebens konnte sich eine Menge Böses verbergen. Hörte man nicht immer wieder, wie hinter vorgehaltener Hand jemand von irgendeinem bedauernswerten Fremden berichtete, der nachts ausgeraubt und in einen der vielen Kanäle geworfen worden war?
„Nun“, Jane schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, „es ist ja nichts geschehen. Und was der Fremde wollte, interessiert mich sowieso nicht. Für mich ist nur wichtig, wie du diese Nacht verbringen möchtest. Hast du etwa auch alle möglichen ungehörigen Dinge im Sinne?“
Einen Moment lang bedauerte er, dass er nicht über den Charme und die Wortgewandtheit der Venezianer verfügte. Dann erklärte er: „Nur, wenn sie niemanden außer uns beiden betreffen.“
Jane lüftete den Schleier ein wenig, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Richard zu seinem Erstaunen einen kleinen Kuss, ehe sie ihm ins Ohr flüsterte: „Ich hoffe, das ist ein Versprechen.“ Dann lachte sie leise über ihren eigenen Mut. „Ist das etwas, was die echte Colombina hätte sagen können?“
„Das ist mir gleichgültig. Wenn du es jedoch sagst, gefällt es mir!“ Ihr Kuss hatte seine Besorgnis zerstreut. Und der kurze Blick auf Janes Brüste, den sie ihm gestattet hatte, als sie die Arme hob, hatte genügt, um seine Begierde aufs Neue aufflammen zu lassen. „Komm, meine süße Colombina, wir wollen hineingehen!“
Hand in Hand bahnten sie sich einen Weg durch die Menge, die sich vor der breiten Doppeltür des Palazzo di Dandolo drängte. Da alle maskiert waren, hätte niemand hätte sagen können, ob es sich um Mitglieder der guten Gesellschaft, um reiche Händler oder womöglich gar um Gesindel handelte. Tatsächlich wurden nicht alle eingelassen. Doch als Richard seine Einladungskarten vorzeigte, hielt man ihm und Jane höflich die Tür auf.
Nun standen sie in der von Säulen getragenen und mit vergoldetem Stuck verzierten Eingangshalle, deren marmorner Fußboden im Schein unzähliger Kerzen glänzte. Bewundernd betrachtete Jane die Kronleuchter, in deren Glasprismen sich das Licht brach.
Ein Lakai bedeutete ihnen höflich, dass sie die Freitreppe hinaufsteigen sollten. Sie gehorchten und kamen in einen mit verschiedenen Spieltischen ausgestatteten Saal. Viele der Gäste hatten bereits Platz genommen und hielten Spielkarten in den Händen. Andere schlenderten plaudernd von einer Gruppe zur nächsten. Einige Paare flirteten wild miteinander.
Richard war an der Tür stehen geblieben
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