Venezianische Versuchung
und halblauten Worten zu erkennen? Er begann sich zu fragen, wie lange das Glück ihm noch treu sein würde. Vielleicht war es klüger, jetzt aufzuhören?
Aber wenn er seinen Gewinn noch vergrößern konnte? Noch nie hatte er sich dem Rausch des Siegens so hemmungslos hingegeben. Sein Mund war plötzlich trocken. Suchend schaute er sich nach einem der Kellner um, die eigentlich mit Tabletts voller Getränken bereitstanden, um nachzuschenken oder etwas anzubieten.
„Wo, zum Teufel, sind die Lakaien mit dem Wein?“, murmelte er.
Die Bemerkung war nicht für Jane gedacht gewesen. Doch als sie hörte, dass Richard durstig war, bot sie sogleich an, ihm etwas zu trinken zu besorgen. Sie wandte sich um und verschwand in der Menge.
„Jane!“ Sie sollte bei ihm bleiben und sich nicht wie eine Bedienstete um seine Bedürfnisse kümmern! Aber sie hörte ihn nicht mehr.
„Signore?“ Der neben ihm sitzende Mann machte ihn darauf aufmerksam, dass alle am Tisch darauf warteten, ob er noch einmal ins Spiel einzusteigen gedachte.
Richard wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bankhalter und dem Croupier zu. Zweifellos würde Jane bald zurückkehren, und da sie sehr geübt darin war, die Wünsche anderer zu erfüllen, würde sie vermutlich nicht nur ein Glas Wein, sondern eine ganze Karaffe mitbringen. Bei dem Gedanken musste er schmunzeln.
Jane wäre froh gewesen, wenn sie irgendwo einen der Kellner entdeckt hätte. Doch inzwischen war der Raum so voll, dass sie, wohin sie auch schaute, nur maskierte Gäste sah. Es war beinahe ein wenig beängstigend. Dabei hatte sie es doch zunächst so amüsant gefunden, sich inmitten all dieser fröhlichen, lachenden, plaudernden und miteinander flirtenden Menschen aufzuhalten.
Sie straffte die Schultern und hielt erneut nach einem Diener Ausschau. Doch da waren nur in Umhänge gehüllte Männer und Frauen mit weißen und schwarzen Masken und den abenteuerlichsten Kopfbedeckungen.
Jemand umfasste von hinten ihre Taille. Jane fuhr herum, doch jetzt hielt niemand sie mehr fest, und es war unmöglich zu sagen, wer es gewesen war. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und sie war im Begriff, unverrichteter Dinge zu Richard zurückzukehren, als jemand nach ihrem Arm fasste.
„Keine Angst, cara mia, es wird Ihnen nichts passieren.“ Der Mann gab sie frei und hob einen Moment lang seine Maske an. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, Sie hier zu treffen.“ Tatsächlich war er sehr stolz darauf, sie inmitten der Menge erkannt zu haben.
„Signor di Rossi!“, rief sie erschrocken aus. Und sich rasch fassend, fügte sie hinzu: „Leider habe ich keine Zeit für Sie. Seine Gnaden wartet auf mich.“
„Sie sind mit dem Duke hier?“
„Selbstverständlich. Ich würde einen Ort wie diesen niemals allein aufsuchen.“
Er nickte. „Nun müssen Sie ihm zu Diensten sein.“
Sie errötete, sagte jedoch nur: „Ich möchte ihm ein Glas Wein holen.“
„Ich werde Ihnen zeigen, wo das Buffet aufgebaut ist. Dort werden Sie auch Wein bekommen.“
Sie zögerte. Konnte sie ihm trauen?
„Sie haben doch hoffentlich keine Angst vor mir?“, fragte er. „Ich dachte, wir seien Freunde.“
„Natürlich …“, sagte sie leise, während sie gegen ihr Misstrauen ankämpfte. Von jeher hatte sie es als ihre Aufgabe empfunden, für einen reibungslosen, friedlichen Ablauf der Geschehnisse zu sorgen. So versuchte sie sich einzureden, dass sie keinerlei Schuld an den Problemen trug, die in ihrer Beziehung zu di Rossi aufgetaucht waren. Die Vorstellung, er könne sie für das Zerbrechen ihrer Freundschaft verantwortlich machen, war ihr unerträglich. Er war nach ihrer Ankunft in Venedig so nett und hilfsbereit gewesen!
„Es ist nicht weit zum Buffet?“, vergewisserte sie sich. Was sollte ihr schon inmitten all dieser Menschen zustoßen?
„Nur ein paar Schritte. Bitte, gestatten Sie mir, Ihnen den Weg zu weisen!“ Er reichte ihr den Arm.
„Danke, Signore!“
Di Rossi schien es eilig zu haben. Schon nach kurzer Zeit war Jane außer Atem, was in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass sie so ungewohnt eng geschnürt war. Sie verließen den Spielsaal, durchquerten einen Raum, in dem so viel Trubel herrschte, dass Jane sich eng an ihren Begleiter halten musste, um nicht von ihm getrennt zu werden, und erreichten einen elegant eingerichteten Salon, in dem nur wenige Kerzen brannten. Sie schaute sich um. Hier gab es kein Buffet und keine Lakaien, die ihr ein Glas Wein hätten
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