Venezianische Versuchung
man sogar dem Glücksspiel anders als in England.
In London gab es – wie er wusste – unzählige Klubs und Spielhöllen, in denen in der Regel niemals die Besucher, sondern stets die Besitzer des Etablissements den größten Gewinn machten. Die vielen Gentlemen und die wenigen Damen, die dort spielten, taten dies im Allgemeinen jedoch nicht um des Gewinnens, sondern um des Amüsements willen. Auch Richard verbrachte zu Zeiten, wenn das House of Lords zusammentrat, hin und wieder einen Abend mit Freunden in dem einen oder anderen Klub. Da er von Natur aus kein Spieler war, gewann oder verlor er immer nur kleine Summen.
In dem Gebäude, in dem der Ridotto stattfand, waren mehrere Räume dem Spiel vorbehalten. Allerdings unterschied sich hier alles grundlegend von dem, was Richard von London her kannte. Der Palazzo di Dandolo war unverkennbar ein Privathaus, das nur wenige Tage im Jahr für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Wie Jane, die aufmerksam den Gesprächen um sich herum lauschte, ihm zuflüsterte, führte der Besitzer einen Teil der Einnahmen aus dem Glücksspiel an die venezianische Regierung ab. Auch durften nur Menschen spielen, die nachweislich über ausreichende Mittel verfügten. Wie das allerdings kontrolliert wurde, blieb rätselhaft. Denn alle Anwesenden waren maskiert.
Richard konnte nur verständnislos den Kopf schütteln. Worin lag der Spaß, wenn man sich in Hut, Mantel und Maske irgendeinem Kartenspiel, wie zum Beispiel Pharo, widmete? Und woher sollte man wissen, dass der Mann neben einem tatsächlich ein Gentleman und kein Schurke, die Lady am Nebentisch tatsächlich eine Dame und keine Kurtisane war? Aus eben diesem Grund hatte er lange überlegt, ob er mit Jane an dem Fest teilnehmen sollte. Entscheidend war dann die Tatsache gewesen, dass es während des Karnevals nichts Venezianischeres gab als eben diesen Ridotto. Das würde Jane gefallen. Und war es nicht gut, wenn sie einmal etwas anderes zu sehen bekam als alte Paläste, alte Kunstwerke und alte Kirchen?
Seine letzten Zweifel waren geschwunden, als er mit Jane den mit Fackeln beleuchteten Campo San Moise betrat, an dem der Palazzo di Dandolo lag. Obwohl er Janes Miene hinter Maske und Schleier nicht erkennen konnte, spürte er doch deutlich, wie wundervoll sie alles fand. Sie begann leise zu lachen und drückte dankbar seine Hand, während sie mit glänzenden Augen beobachtete, was um sie herum vorging.
„O Richard“, flüsterte sie, „noch nie habe ich so viele farbenfroh gekleidete Menschen gesehen! Findest du nicht, dass sie einem Schwarm exotischer Vögel gleichen?“
„Ziemlich große Vögel“, erwiderte er lachend. Und wirklich erinnerten viele mit ihren seltsamen Masken, die mit gebogenen Schnäbeln ausgestattet waren, an Riesenvögel. Hinzu kam, dass die weiten Umhänge sich bei jeder Bewegung wie Flügel ausbreiteten, wodurch auch die prachtvollen bunten Gewänder darunter sichtbar wurden.
Jane fiel in sein Lachen ein. Ihm war, als habe er nie etwas Fröhlicheres gehört. Einen Moment lang übertönte ihrer beider Lachen sogar die Melodie, die eine Gruppe von Musikern zum Besten gab, die auf der Außentreppe eines Hauses Aufstellung genommen hatte. Einige Paare auf dem Platz tanzten schon zu den wilden Klängen. Unwillkürlich legte Richard ihr die Hände um die Taille und wirbelte auch sie im Rhythmus des venezianischen Liedes herum.
„Richard!“, rief sie überrascht aus. Doch schon hatte sie sich seinen Schritten angepasst, ließ sich lachend von ihm im Kreis drehen. Sie mochten keine besonders guten Tänzer sein – Richard bezweifelte sogar, dass er überhaupt die richtigen Schritte machte –, doch selten hatte es ein Paar gegeben, das mit mehr Begeisterung bei der Sache gewesen war. Janes Röcke flogen, sodass ihre hübschen schlanken Fesseln zu sehen waren. Glücklich überließ sie Richard ihre Hand.
Ihr Anblick faszinierte Richard so, dass er keinen Blick von ihr wenden konnte. O Gott, wie sehr das Kostüm sie veränderte und welches Verlangen Jane in diesem exotischen Gewand in ihm auslöste! Sicher, er empfand diese heiße Begierde nicht zum ersten Mal, seit er in Venedig war! Er hatte nicht vergessen, wie unpassend es ihm kurz nach seiner Ankunft erschienen war, dass er sich ausgerechnet nach der Gouvernante seiner Töchter verzehrte. Und nun, da er Jane lieb gewonnen hatte und ihr mit großer Achtung begegnete, wunderte er sich noch immer, wie mühelos es ihr gelang, seine Leidenschaft zu
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