Veni, Vidi, Gucci
er wieder einmal mit dem Ball herumzauberte und ein paar Tricks für das Probetraining einstudierte. Vor Thomas lag eine glänzende Zukunft. Er hatte alle Möglichkeiten. Im nächsten Augenblick wich meine Freude jedoch schlimmen Gewissensbissen.
Die arme Sureya.
Die arme Rosa.
Ich zwang mich weiterzumachen. Räumte ein paar Küchenschränke aus und putzte sie von innen. Eine Beschäftigungsmaßnahme, um mich abzulenken, eine Verdrängungsstrategie ... Jedenfalls überstand ich so den Nachmittag, bis ich schließlich nicht mehr konnte. Was für ein Tag - im Grunde sogar zwei Tage, obwohl sie in dem Durcheinander nicht mehr zu unterscheiden waren. Aber dieser Tag wird bald ein Ende nehmen, denn mir fallen jetzt schon beinahe die Augen zu.
Richard hat sich nicht mehr gemeldet, aber nachdem er eineinhalb Tage auf sein Büro verzichten musste, werden wir wohl vorerst nichts von ihm hören. Ich frage mich, wie es wohl Sir Colin geht? Der Gedanke bringt mich zum Lächeln, allerdings nicht lange. Mir wird nämlich gleich darauf bewusst, dass nicht nur Richard sich nicht gemeldet hat, sondern auch Michael nicht. Ich möchte gerne wissen, wie es Sureya geht, aber ich will nicht aufdringlich sein. Morgen bringt Michael mir die Zwillinge, dann kann ich ihn ja fragen.
Nachdem ich das Sandwich aufgegessen habe, sehe ich auf die Uhr. Kurz nach neun. Ich bin schon seit Jahren nicht mehr so früh ins Bett gegangen, aber heute mache ich eine Ausnahme.
In diesem Moment klingelt das Telefon, und ich hebe sofort ab, in der Annahme, dass es Michael ist.
»Darling, ich bin’s!«, sagt eine rauchige Stimme, die ganz und gar nicht nach Michael klingt.
»Wer spricht da?«
»Na, ich! Fiona!«
Ich kenne nur eine Fiona. Meine schreckliche Schwägerin. Was will sie? Bestimmt nicht mit mir sprechen. Sonst ruft sie nur an, wenn sie sich halbwegs sicher ist, dass Richard zu Hause ist.
»Hallo, Fiona. Richard ist noch im Büro«, sage ich automatisch, bereit, mir von ihr eine Nachricht diktieren zu lassen, als wäre ich Richards Sekretärin.
»Ich weiß«, entgegnet Fiona, was mich verwirrt. »Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Ich kann nicht glauben, was passiert ist. Ich bin völlig erschüttert .«
Seltsam. Fiona kennt Sureya nicht einmal.
»Ja?«, sage ich.
»Aber sicher, Fran«, erwidert Fiona entrüstet. »Das ist ganz schrecklich.«
Vielleicht kennen sich Sureya und Fiona ja doch. Habe ich die beiden vielleicht auf der Party miteinander bekannt gemacht?
»Ja, es ist furchtbar«, sage ich. »Aber solche Dinge passieren nun einmal. Wichtig ist jetzt nur, sie in Ruhe zu lassen. Sie muss das alles erst einmal verarbeiten.«
»Fran, warum sprichst du von dir in der dritten Person?«
»Tu ich doch gar nicht.«
»Und von wem sprichst du dann?«
»Von Sureya«, entgegne ich, obwohl ich bereits weiß, dass ich nicht nur auf dem verdammten Holzweg bin, sondern auch im völlig falschen Wald.
»Und ich habe von dir und Richard gesprochen«, sagt Fiona. »Er hat es mir erzählt, Fran. Ich weiß alles.«
Ich bin überrascht. Nein, streichen Sie das wieder, ich bin total baff. Warum weiht Richard seine Schwester ein? Ich bin geradezu sprachlos, aber Fiona – die ja ihre Klappe nicht halten kann – füllt das Schweigen. »Eigentlich wollte ich euch beide am Freitagabend einladen. Um meinen Aufstieg zur Juniorpartnerin zu feiern. Ehrlich, ich kann es nicht glauben.«
»Ich schon. Du machst deine Arbeit schließlich gut. Weißt du noch, der eine Fall, von dem du mir erzählst hast, der, den du damals gewonnen hast, als –«
» Fran , ich habe nicht von meinem Job gesprochen.«
Fiona ist jetzt leicht genervt, weil ich schon wieder auf dem Holzweg bin und in die völlig falsche Richtung laufe. Diese Missverständnisse zwischen uns sind nicht neu. Das Problem besteht, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich das ein oder andere Mal, Sie wissen schon, absichtlich dumm gestellt habe. Nicht jedoch heute Abend – ich bin zu müde für Spielchen.
»Ich spreche von eurer Trennung«, erklärt Fiona. »Davon, dass mein Bruder eine andere hat. Das tut mir ganz schrecklich leid.«
Nun, das kann ich fast nicht glauben. Allerdings brauche ich mich nicht zu wundern, dass Richard ihr alles erzählt hat. Fiona kann nämlich sehr hartnäckig sein. Mag sein, dass ich ganz Nord-London vorspielen kann, dass im Hause Clark alles in bester Ordnung ist, allerdings funktioniert das nicht mit Richard. Ich
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