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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
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mögen, dass dieser Tod niemanden interessierte.
     
    Und diese offensichtliche Unbeliebtheit machte mir Billy natürlich sympathisch. Ich empfand Mitgefühl für den Paria, den Verlorenen, auf den offensichtlich alle pfiffen. Ich sagte mir: Man kann nicht einfach so mit ihm umspringen und seine Sache ad acta legen, nur weil sich niemand die Mühe macht, ihm die Zeit oder die Aufmerksamkeit zu widmen, die sein Tod verlangt. McGill teilte meinen Standpunkt. Aber aus anderen Gründen: Er mochte es nicht, dass man sich um der Gerechtigkeit willen die Beine ausriss, wenn, auf die eine oder andere Weise, Reiche in einen Fall verwickelt waren, aber untätig blieb, wenn es einem armen Typen an den Kragen ging. Das war sein geheimer Traum von einer egalitären Gerechtigkeit. Er wurde häufig desillusioniert, aber er gab nie klein bei.
     
    Wir beschlossen also, einige der Jungs, die in den dunklen Nebenstraßen des Hollywood Boulevard den Ton angeben, erneut zu befragen. Wir mussten uns vergewissern, dass uns kein wichtiges Detail, keine nützliche Information entgangen war. Wir haben also die Chefs des Elends auf der Wache an uns vorbeiziehen lassen. Wir haben uns auch an Ort und Stelle begeben, um den Nachtschwärmern ein paar Augenblicke zu stehlen. Ich erinnere mich genau an sie alle: die mickrigen Jugendlichen, die Stammgäste der Fitnesszentren, die schrillen Tunten, die aufdringlichen Transvestiten, die schwarzen Riesen, die Latinos mit den Kuhaugen. Ich erinnere mich an ihre Aufmachung: zerrissene Jeans, Lederhosen, ärmellose Trikots, Blumenkleider,Bandanas in den Gesäßtaschen, tiefe Dekolletés, die den Blick auf die flachen, enthaarten Brustkörbe freigaben, eng anliegende Shorts. Ich erinnere mich an ihre Reaktionen: Ausrufe, Glucksen, verstocktes Schweigen, schamlose Lügen, schäbige Geständnisse, Ausspucken vor unseren Füßen. Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, während dies meinen Partner keinerlei Anstrengung kostete: Der regelmäßige Umgang mit Ganoven, Zuhältern und Dealern verschaffte ihm eine absolute Gleichgültigkeit, eine bewundernswerte Gelassenheit. Am Ende mussten wir uns trotz allem eingestehen, dass unsere Untersuchungen nicht sehr viel ergeben hatten.
     
    Auf dem Rückweg zur Wache sagte McGill: »In zehn Jahren, im neuen Jahrtausend, soll angeblich alles einfacher werden, die Polizei wird solche Fortschritte gemacht haben, dass die Schuldigen uns nicht mehr werden entkommen können. Das wird zumindest in Kreisen, die es wissen müssen, und in Filmen gesagt. Aber ich glaube nicht so recht daran.« Ich hielt es nicht für angebracht, meine Meinung zu sagen, ich hatte keine dazu.
     
    Und dann frischte er meine Erinnerung auf: Ich musste Jack Bell anrufen. Ich versicherte ihm, dass ich es vergessen hätte. Das stimmte offensichtlich nicht, und er wusste es.

 
    »Ich wollte Sie wiedersehen, Lieutenant, weil ich Ihnen neulich nicht die ganze Wahrheit gesagt habe.« Ich hatte noch nicht einmal die Zeit gehabt, mich auf eines der beigen Sofas zu setzen. Als ich schließlich darin versunken war, habe ich den Kopf gehoben, um das Gesicht von Jack Bell genauer zu betrachten. Er hatte den verlegenen Ausdruck eines kleinen Jungen, der sich gerade dabei erwischen lässt, wie er, auf einem Stuhl schaukelnd, den Finger in einen Marmeladentopf steckt. Oder eher wie ein gerade in die Pubertät gekommener Halbwüchsiger, den seine Mutter, umgeben von Pornoheften, beim Masturbieren in seinem Zimmer ertappt. Und ich gebe es zu, er hat mich gerührt, dieser Junge. Obwohl ich einen Horror davor hatte, auf den Arm genommen zu werden, und nicht aus dem Blick verlor, dass eine Falschaussage ein schweres Delikt ist, habe ich in diesem Moment eine verwerfliche Schwäche für den Lügner empfunden. Und wenn alles von hier ausgegangen wäre? Und wenn ich mir, indem ich mir den ersten Vorwurf verbot, bis zum Ende jedes Urteil verboten hätte?
     
    »Ich würde gern ein Bier trinken, wenn Sie eines dahaben.« Er blickte mich prüfend an und fragte sich bestimmt, ob ich mich über ihn lustig machte oder ob ich ein so raffinierter Spürhund war, dass seine Mitteilung mich überhauptnicht überraschte. Er verharrte einige Sekunden schweigend, ehe er zur Bar ging. Er brachte zwei gekühlte Flaschen Bier. Da ich das Glas zurückwies, das er mir anbot, kamen wir schweigend überein, direkt aus der Flasche zu trinken. Man war unter Männern. Es war vielleicht etwas lächerlich.
     
    »Sie wirken nicht

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