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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
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seinem zerbrechlichen Blick trug, den Mangel an Beweisen nicht zugutehalten? Ich gab bereitwillig nach.
    »Er hat nicht versucht, wie soll ich sagen?   … Nun, er hat Ihnen nicht vorgeschlagen   …«
    »Mit ihm zu schlafen? Nein.«
    Ich bin Jack dankbar gewesen, dass er meinen Satz vollendet hat. Für gewöhnlich habe ich keine Schwierigkeiten mit dieser Art Befragung, aber hier, in diesem Moment, habe ich eine gewisse Scheu empfunden. Ich stolperte über die Worte. Es ist immer schamlos, Leuten, die man verhört, Details über ihre sexuellen Praktiken aus der Nase zu ziehen. Aber im vorliegenden Fall war es etwas anderes, ich gebe es zu. Es störte mich, mir Jack mit Billy im Bett vorstellen zu müssen. Diese Vorstellung gefiel mir nicht.
     
    »Gut, wenn Sie mir nichts anderes zu sagen haben, dann brechen wir hier ab.« Offensichtlich hätte ich misstrauischer sein müssen. Ich bin es nicht gewesen, Punktum. Im Grunde war ich gar kein so guter Schüler. Oder vielmehr, ich lernte die Feigheit in Windeseile.
     
    Ich sage
Feigheit
, aber ich hätte
Liebe
sagen sollen.

 
    Mr Jansen hatte einen Lebensmittelladen auf der Baker Street in Bodega Bay. Die Art Laden, wo man seine zusätzlichen Einkäufe macht, wenn gerade die Eier oder das Toilettenpapier fehlen, oder wenn man das Müsli oder die Haferflocken im Supermarkt am Stadtrand vergessen hat. Ich ging jeden Tag morgens auf dem Weg zur Schule und abends auf dem Rückweg an diesem Geschäft vorbei. Ich blieb dort nicht länger stehen, obwohl mich die Süßigkeiten, die neben der Kasse beim Eingang aufgebaut waren, verlockten. Aber ich war acht Jahre alt, hatte kein Geld und eine Mutter, deren Gebote ich respektierte. Dieses Allerheiligste betrat ich nur in ihrer Begleitung: Ich bat darum, sie begleiten zu dürfen, sie erlaubte es.
     
    Mr Jansen war ein altersloser Mann. Heute würde ich sagen, dass er damals fünfzig war. Eine eher traurige Gestalt, man sah ihn nur selten lächeln. Er war nicht streng, nein. Nur einsam und wenig gesprächig. Ein ziemlich großer Mann, aber vielleicht entstand dieser Eindruck nur seiner Magerkeit wegen. Das ganze Leben war in seinem Blick vereint. Er hatte sehr blaue Augen, die einen zu durchleuchten schienen. Ich dachte: Das ist eine Berufskrankheit, er überwacht uns und versucht, uns Angst zu machen, ohne ein Wort sagen zu müssen.
     
    Eines Abends, als ich von der Schule zurückkam, habe ich den Laden allein betreten. Ich hatte wegen eines verlorenen Zahns einen Dollar bekommen, ich verfügte über ein Vermögen, das ich verschwenden konnte. Mein Herz klopfte. Jahre später habe ich dasselbe Gefühl empfunden, als ich die anrüchige Tür eines Sexshops passierte. Obendrein handelte ich dem Gebot meiner Mutter zuwider. Die erste Übertretung vergisst man nicht.
     
    Ich bin in den Gängen herumgestreunt, ohne mich entschließen zu können. Ich hatte das Gefühl, Mr Jansen beobachte mich, und dieser inquisitorische Blick irritierte mich. Da kam eine Dame herein, und ihr Eindringen diente der Ablenkung. In den wenigen Sekunden dieser Ablenkung habe ich jene verrückte Handbewegung gemacht, die ich mir auch Jahre danach noch nicht erklären kann: Ich habe ein paar Karamellbonbons genommen und steckte sie, mit der festen Absicht, sie ohne Bezahlung mitzunehmen, in meine Hosentasche. Ich bin in kürzerer Zeit, als man braucht, um dies auszusprechen, zum Dieb geworden.
    Bis dahin war mir der Gedanke, mir etwas anzueignen, was mir nicht gehörte, noch nie gekommen. Inzwischen habe ich gelernt, dass im Leben eines Menschen immer ein Augenblick kommt, wo er mit seinen dunklen Seiten konfrontiert wird. Ein Mord, zum Beispiel, kann nichts als eine zufällige und kurze Kollision mit der eigenen dunklen Natur sein. Für diejenigen, die ihn nicht vorsätzlich begehen, ist der Schritt zur Ausführung häufig nur das Ergebnis eines winzigen Augenblicks, in dem der Mensch zum Ungeheuer wird.
     
    Die Dame ist gegangen, und ich war wieder allein in dem Laden. Mein Herz klopfte noch stärker. Mr Jansen verließ seinen Ladentisch, näherte sich mit langsamen Schritten und pflanzte sich vor mir auf. Sein Gesicht war undurchdringlich, aber seine blauen Augen zeigten einen Ausdruck, der zwischen Kummer und Milde schwankte. Mr Jansen schwieg einige Augenblicke, ehe er sagte: »Magst du sie wirklich, die Karamellbonbons, die du in die Tasche gesteckt hast?« Ich habe ihn verblüfft angeschaut, beschämt darüber, dass ich entlarvt worden war. Mein

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