Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
Vom Netzwerk:
Selbst wenn Erinnerungsbilder in mir abliefen, spielten sie nie dort, nie auf diese Weise. Im Übrigen waren es immer verschwommene Bilder, die Szenerie war unscharf, die Tageszeit unbestimmt, was sich aufdrängte, war mehr der Gedanke an eine Begegnung als ihre äußeren Umstände. Wichtig waren die Gesichter, die Verwirrung der Blicke, die ungeschickte oder jähe Annäherung der Körper, der Taumel der ausgesprochenen Worte, der Rest zählte wenig, und ich war nicht sehr einfallsreich.
     
    Aber nun, wo es darum ging, einen Ort zu finden, da drängte sich ein Ziel auf, eine Adresse. Die auf den ersten Blick am wenigsten naheliegende, die unmöglichste, oder die gefährlichste: die des Motels, in dem meine Mutter arbeitete. An Motels fehlte es nicht entlang der Küste und anderswo. Die Stadt quoll über von Hotels. Und ich hatte von diskreten Unterkünften reden gehört. Ich habe den unwahrscheinlichsten Ort gewählt. Folglich den, der am besten geeignet war.
     
    Ich hatte meine Mutter nie in meine Angelegenheiten hineingezogen, weder in die des Herzens noch in die der Arbeit, hatte sie nie informiert, wie meine Tage abliefen,es war abgemacht, dass sie mich mein Leben leben ließ, wir telefonierten einmal in der Woche miteinander, das genügte, keiner von uns hätte daran gedacht, sich darüber zu beklagen. Wir liebten uns, auf unsere Weise. Ohne Überschwang.
     
    Selbstverständlich hatte meine Mutter Kontakt zu Laura, sie war glücklich gewesen, mich dieses Mädchen heiraten zu sehen, sie war zufrieden zu wissen, dass ich bald Vater sein würde, Laura und sie telefonierten manchmal, die beiden kamen gut miteinander aus, sie trafen gemeinsam Vorbereitungen für die Ankunft des Babys. Aber meine Mutter drängte sich nicht auf.
    Eine Sache gab es, die sie bedauerte, ohne es je offen auszusprechen: Sie hätte es vorgezogen, wenn ich einen anderen Beruf gewählt hätte. Sie schämte sich nicht, überhaupt nicht, denn sie hatte keinen Traum genährt, den ich hätte enttäuschen können, nein, sie war nur etwas beunruhigt: Mein täglicher enger Umgang mit Ganoven begeisterte sie überhaupt nicht, auch wenn sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte.
    Ich bin bereit zuzugeben, dass es eine Ungehörigkeit, ein unvoraussehbares Ereignis und gewiss eine unpassende Geste war, mich mit Jack bei ihr zu zeigen. Man hätte es auch eine Provokation, einen Skandal nennen können. Dennoch habe ich es getan. Von Zeit zu Zeit schenken Söhne ihren Müttern grundlos und furchtlos ein absolutes Vertrauen.
     
    Jack hat den Wagen auf der Dudley Avenue an der Ecke des Hotels geparkt. Auf der Promenade ist der Verkehr verboten, und seit kurzem hatte man einen Parkplatz indieser schmalen Straße eingerichtet. Beim Aussteigen betrachtete Jack das große Gebäude, die Metalltreppe, die Spuren einer glanzvollen Vergangenheit, es hat ihm augenblicklich gefallen. Ich ließ meine Blicke über den Strand streifen, auf der Stelle habe ich mich an die Atmosphäre meiner Jugend erinnert. Hier bin ich glücklich gewesen. Hier konnte ich es wieder sein.
     
    Meine Mutter stand hinter dem Tresen, als wir die Lobby betraten. Sie war überrascht, mich zu sehen: Für gewöhnlich versäumte ich nicht, sie von meinen   – seltenen   – Besuchen vorher in Kenntnis zu setzen. Und dann hat sie Jack gesehen. Sie erstarrte. Nicht weil sie ihn erkannte, sondern weil seine Anwesenheit an meiner Seite ihr nichts Gutes zu verheißen schien. Ich habe sie einander vorgestellt, ohne Floskeln und Erklärungen. Sie haben sich mit großer Zurückhaltung, aber ohne Kälte gegrüßt.
     
    Ich sagte: »Ich hätte gern ein Zimmer für Jack und mich.« Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann sagte sie: »401 ist frei.«

 
    Während ich auf die Treppe zustürzte, die in den vierten Stock führte, habe ich noch einmal zu meiner Mutter zurückgeschaut, ich wollte ihr Gesicht wie eine Billigung mit mir nehmen. Ich erinnere mich an einen sehr sanften Ausdruck und an einen sehr reinen Blick, ja, das ist das Wort, das mir in den Sinn kam: rein. Man hätte meinen können, dieser Blick sei reingewaschen von der ganzen Vergangenheit, befreit von Fragen, Zweifeln, Ängsten, und sie lasse ihn mit einer Art Befriedigung auf mir ruhen. Sie hatte offensichtlich eine Antwort auf eine Frage gefunden, die ich mir nie gestellt hatte.
     
    Während ich die Stufen hinaufstieg, habe ich Jack beobachtet, der vor mir ging. Hatte ich jemals einen Körper so begehrt, wie ich den seinen

Weitere Kostenlose Bücher