Venus allein zu Haus
wahnsinnig werden in dieser Wohnung.«
»Vielleicht stellt sich deine Schwester ja nicht so an wie du«, hat Bernd zu bedenken gegeben und dann auch noch,
verdammter Mistkerl, den Arm um sie gelegt. Und natürlich hat sie gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd und war fortan überzeugt, dass sie nirgendwo besser aufgehoben sein könnte als in einer schmuddeligen Wohnung mitten auf der Reeperbahn. Na von mir aus. Mir kann das ja nur recht sein, denke ich, während ich mich genüsslich ausstrecke. Sie wird schon sehen, was sie davon hat. Kurz vor dem Einschlafen melden sich dann doch noch Gewissensbisse. Immerhin ist meine Schwester schwanger. Und völlig unselbstständig. War es nicht verantwortungslos von mir, sie einfach zu Bernd ziehen zu lassen? Ich weiß ja nicht, ob die mangelnde Hygiene dort nicht vielleicht sogar dem kleinen Georg irgendwelchen Schaden zufügen könnte. Nun ja, ich werde gleich morgen mal bei ihr vorbeigehen und nach dem Rechten schauen. Zufrieden schlummere ich ein.
Ich schaffe es dann doch erst drei Tage später, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mein Terminkalender quillt im Moment einfach über, ich habe so viele Kunden, dass ich noch nicht einmal dazu komme, mich endlich ernsthaft mit der Suche nach einem neuen Mann zu beschäftigen. Aber manchmal geht die Arbeit einfach vor. Außerdem ist mir nach dem desaströsen letzten »Date« auch so gar nicht nach Verabredungen. Deshalb nehme ich erst mal Abstand von der Sache und lege sie in die Hände des Schicksals. Es gibt ja genug Leute, die ihren Partner an der Supermarktkasse kennen gelernt haben, oder, und darauf spekuliere ich insgeheim, auf einer Hochzeit. Und die von Lara und Manu steht bald ins Haus. Am 30. Juni, um genau zu sein, und bis dahin gibt es für mich als Trauzeugin auch noch eine Menge zu erledigen. Alleine, den Hochzeitsgästen immer wieder auf die Füße zu treten, damit
sie mit ihren Beiträgen für die Hochzeitszeitung endlich mal in die Hufe kommen, nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Der Junggesellinnenabschied will natürlich auch geplant werden. Ich glaube, ich habe mich jetzt vor mir und der Welt genug dafür gerechtfertigt, dass ich meine schwangere Schwester ganze vier Tage in einer stinkenden Höhle ihrem Schicksal überlassen habe. Zum Glück sieht sie nicht nur gesund, sondern auch recht vergnügt aus, als ich sie nach der Begrüßung auf Armeslänge von mir weg halte und forschend betrachte. Eigentlich sieht sie besser aus denn je.
»Möchtest du einen Kaffee? Oder lieber Tee?«, fragt sie mich und eilt voran. Eigentlich will ich wie immer in diesem Haus höflich ablehnen, doch als mein Blick in die Küche fällt, kann ich vor lauter Erstaunen erstmal überhaupt nichts sagen. Was ist denn hier passiert? Gut, wie in »Schöner Wohnen« sieht es zwar noch immer nicht aus, aber doch sauber und nett. Auf dem Tischchen steht doch tatsächlich ein Blumentopf mit einem winzigen Rosenstock darin. Ordentlich aufgereiht stehen die Vorräte auf den Regalbrettern, Herd und Spüle sind blitzblank und an der Wand hängen in einer Linie aufgereiht wunderhübsche Postkarten mit verschiedenen Motiven, alle in Blautönen gehalten und dadurch zu den Gardinen passend, die ebenfalls neu sind.
»Was ist denn hier passiert?«
»Gefällts dir? Das war ich«, verkündet Jackie stolz, »also, willst du jetzt einen Tee oder nicht?« Damit nimmt sie den Wasserkocher zur Hand und beginnt, ihn zu füllen. Heimlich linse ich hinein. Nicht zu fassen. Sie hat ihn tatsächlich entkalkt.
»Ja gerne. Grünen, wenn du hast«, sage ich deshalb und lasse mich auf einen der Holzstühle fallen. Davon muss
ich mich erst mal erholen. Ich wusste nicht, dass meine Schwester weiß, dass es so was wie Entkalker überhaupt gibt. Oder dass sie hausfrauliche Qualitäten hat. Ihr Kinderzimmer sah jedenfalls immer aus wie ein Schweinestall. »Wie gefällt es dir denn hier so?«, frage ich, während Jackie zwei Becher vom Regal nimmt und jeweils einen Teebeutel hineinhängt.
»Ach, Helen, es ist so toll. Mir geht es hier so gut wie schon lange nicht mehr«, schwärmt sie mit leuchtenden Augen.
»Tatsächlich?«
»Ja! Ich habe das Gefühl, dass ich endlich wieder atmen kann.« Dann hast du ganz offensichtlich keine Hausstauballergie, denke ich sarkastisch, setze jedoch ein Lächeln auf und sage:
»Das freut mich für dich. Und das Baby? Alles okay? Macht dir dein Rücken keine Probleme? Wenn ich mich hier so umsehe, entschuldige, aber ich finde, du
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