Venus allein zu Haus
Bernd und zieht ihr den einzigen Stuhl heran, der sich in diesem Zimmer befindet. Meine darauf befindlichen Klamotten wirft er einfach auf den
Boden. Meine Schwester lässt sich dankbar auf die Sitzgelegenheit fallen und verzieht weinerlich das Gesicht:
»Ich habe Paul heute verlassen.« Für einen kurzen Moment halte ich im Aufsammeln meiner von Bernd so lieblos behandelten Kleidungsstücke inne.
»Du hast was?«
»Ich habe ihn verlassen.«
»Um zwei Uhr in der Nacht?« Bernd sieht mich strafend an, aber Jackie achtet gar nicht auf meinen Einwurf:
»Ich will so nicht leben. Ich kann es einfach nicht«, klagt sie und bricht in Tränen aus. Bernd kniet sich vor sie hin und nimmt sie in die Arme, und ich selber stehe rum wie bestellt und nicht abgeholt. Ich spüre sogar eine Spur von Eifersucht. Schließlich ist Bernd doch mein Tröster. Aber ich bin auch dankbar, dass er da ist, dass er meine weinende Schwester im Arm hält. Denn sonst wäre das wohl jetzt meine Aufgabe, und das muss ich wirklich nicht haben. Ich überlasse nur zu gerne Bernd das Haarestreicheln und Rückentätscheln und schleiche mich leise hinaus, um einen Tee zu kochen. Tee ist immer gut. Auch wenn ich diese angebliche Trennung von Paul natürlich nicht ernst nehme. Auch wenn ich persönlich ihn noch nie besonders leiden konnte. Aber meine Schwester hat ihn sich schließlich geangelt. Und dabei stand das Kriterium gut betucht an erster Stelle. Er wird doch nicht …
»Hat Paul seinen Job verloren?«, frage ich geradeheraus und halte meiner Schwester eine Tasse Hagebuttentee vor die Nase. Sie hat sich inzwischen wieder etwas beruhigt und hat aufgehört zu weinen. Gut gemacht, Bernd.
»Nein, wieso?«, fragt sie, während sie vorsichtig in das heiße Getränk pustet.
»Warum hast du ihn dann verlassen?«, frage ich ehrlich ratlos. Vier Augen starren mich empört an.
»Du hältst mich wohl für total berechnend«, sagt Jacqueline tonlos. Ganz ehrlich? Ja.
»Natürlich nicht«, beteuere ich.
»Ich habe Paul nicht wegen seines Geldes geheiratet«, sagt sie mit schriller Stimme.
»Nein, natürlich nicht.« Man soll Schwangere nicht reizen.
»Ich habe ihn geliebt. Aber er … er liebt mich nicht. Er kennt mich nicht einmal. Ich bin ihm völlig egal, wichtig ist nur seine Arbeit.«
»Was ist denn passiert?«, will Bernd wissen und streichelt routiniert ihre Hand.
»Er ist auf Geschäftsreise gefahren, heute Abend. Nach London. Für eine ganze Woche.«
»Na und? Dein Termin ist doch sowieso erst in sechs Wochen«, werfe ich ein.
»Ich will keinen Kaiserschnitt«, kreischt sie hysterisch.
»Pscht«, mache ich flehend, »bitte, kannst du nicht etwas leiser sein.« Bernd guckt mich an, als hielte er mich für total unsensibel. Jackie sowieso. Die wendet sich jetzt nur noch ihm zu, ich scheine völlig unsichtbar zu sein. Sehr viel ruhiger fährt sie fort:
»Ich hatte heute so ein Gefühl, als würde es bald losgehen mit der Geburt. Wirklich, ich bin ganz sicher. Paul hat nur gelacht und gesagt, dass ich mir das einbilde. Und dann ist er ins Taxi gestiegen und weggefahren.« Wieder beginnt sie zu weinen. Und dann stößt sie einen schrillen Schrei aus. Ich werde noch wahnsinnig.
»Psssst. Bitte«, flehe ich, doch schon eine Sekunde später wird meine Tür aufgerissen und ein ziemlich ungehaltener Michael steht im Rahmen. »Es tut mir Leid«, sage ich eilig und gehe auf ihn zu, »meine Schwester ist, ihr geht es nicht …« Da stößt sie schon wieder einen Schrei aus
und ich drehe mich zu ihr um. Wenn die nicht sofort die Klappe … Da sitzt sie, zusammengekrümmt, beide Hände auf ihren Bauch gepresst und stöhnt zum Gotterbarmen, während Bernd beruhigend auf sie einredet.
»Es ist alles okay, Jackie, bleib ganz ruhig. Wir fahren dich jetzt ins Krankenhaus.«
»Ich wusste es«, jammert sie, »ich habe es ihm gesagt.«
»Ich fahre euch«, bietet Michael, plötzlich erstaunlich wach und munter, an und stürzt zurück ins Schlafzimmer, um Nick zu wecken.
Fünf Minuten später sitzen wir zu fünft in Michaels VW Golf und fahren durch das nächtliche Hamburg.
Weitere fünf Minuten später halten wir mit quietschenden Reifen vor dem UKE.
Noch mal fünf Minuten später sehe ich meine Schwester im Rollstuhl davongefahren werden. Und Bernds Hand hält sie dabei so fest umklammert, dass der wohl oder übel mitgehen muss.
Und wiederum fünf Minuten später gibt die nette rothaarige Ärztin Frau Dr Herzig Entwarnung:
»Keine Grund zur
Weitere Kostenlose Bücher