Venus allein zu Haus
ein warmherziger und spontaner Mensch bin, mit dem zusammenzuleben ein einziges Vergnügen ist. Aber so wird es nicht sein. Als ich geendet habe, hebe ich meinen Blick und treffe seinen.
»Bin ich denn wirklich so schlimm?«, frage ich ihn.
»Du bist überhaupt nicht schlimm, Lenchen. Lass dir das nicht einreden von diesem Idioten.«
»Du findest nicht, dass ich oberflächlich bin?«
»Na ja.«
»Genau. Na ja. Gib’s zu, ich bin dir immer ein bisschen unangenehm, wenn wir inmitten deiner Freunde sitzen, denen es allen völlig egal ist, wie sie aussehen, weil das Innere eines Menschen zählt. Und ich nerve dich jedes Mal zu Tode, wenn ich dir Vorträge über die mangelnde Hygiene hier in der WG halte, richtig? Und du findest es auch unerträglich, dass ich immer das letzte Wort haben
muss. Dass es mir so wichtig ist, was die Leute über mich denken. Dass ich immer alles besser weiß. Stimmt doch, oder?« Bernd sieht mich schweigend an. »Gib es doch endlich zu«, sage ich heftig, »gib zu, dass es stimmt.«
»Ja, irgendwie stimmt das«, antwortet er langsam und meine Welt bricht endgültig zusammen. »Aber ich liebe dich trotzdem.«
Mit großen Augen sehe ich ihn an.
»Wirklich?« Wie ist das möglich? Ich bin ein unerträglicher Mensch.
»Wirklich.« Und dann zieht er mich zu sich heran und küsst mich ganz vorsichtig auf den Mund. Jan hat mich niemals am frühen Morgen geküsst. Und ich ihn auch nicht. Jetzt denke ich nicht einmal daran, dass ich Alkohol getrunken und eine Falafel mit viel Knoblauchsoße gegessen habe. Ich drücke mich ganz eng an Bernd heran und küsse ihn zurück. So richtig. Und ich spüre seine Bartstoppeln, die über mein Gesicht kratzen, und es ist okay. Ich rieche seinen Atem, und es ist okay. Es ist alles so wunderbar einfach und okay. Mit meinen Händen fahre ich über Bernds Körper, schmiege mich an ihn und nestele an seiner Boxershorts herum, als er plötzlich meine Hand festhält und mich von sich wegschiebt.
»Nicht, Helen, warte mal.«
»Ich will nicht warten«, sage ich heftig und versuche, mich aus seinem Griff zu befreien.
»Helen, wirklich, das ist jetzt bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um …«
»Ich habe es satt, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten«, unterbreche ich ihn wütend, »ich habe mich immer bemüht, alles zum richtigen Zeitpunkt zu machen, und sieh doch, wohin es mich gebracht hat. Also lass mich jetzt
einmal spontan sein.« Und er lässt mich auch wirklich los, nimmt dann aber mein Gesicht in beide Hände, sieht mich zärtlich an und sagt:
»Hör doch auf damit. Ich möchte nur nicht, dass du jetzt etwas tust, was du irgendwann bereuen würdest.« Bevor ich das entrüstet von mir weisen kann, spricht er weiter: »Du bist gerade in einer ganz schwierigen, emotionalen Lage. Was da mit Jan passiert ist, das steckt man nicht so einfach weg. Und das solltest du auch von dir nicht verlangen.« Sophia nickt so heftig mit dem Kopf, dass sich einige Strähnen aus ihrem normalerweise tadellosen Nackenknoten lösen. »Du musst hier niemandem was beweisen. Am wenigsten mir. Auch nicht, dass du sexuell ausgesprochen spontan sein kannst.« Ich spüre, wie ich knallrot anlaufe. Endlich gebe ich meine vergeblichen Versuche, in seine Hose zu gelangen, auf und lasse mich niedergeschlagen in die Kissen zurücksinken. Ich könnte schon wieder heulen. So langsam weiß ich wirklich gar nichts mehr. Anscheinend ist alles, was ich mache, verkehrt, egal, wie ich es anstelle. Bernd beugt sich über mich und bedeckt meine Lippen mit zarten kleinen Küssen.
»Ich warte seit fünfzehn Jahren auf dich«, sagt er zärtlich, »da kann ich jetzt auch noch ein paar Tage länger aushalten. Bis du wieder ganz bei dir bist.«
»Vielleicht will ich gar nicht bei mir sein«, erwidere ich trotzig. Er grinst mich an:
»Ich kenne dich besser, Helen. Glaub mir, solltest du dich wirklich entschließen, mit dem unmöglichen Bernd zu schlafen, der in einer Chaos-WG haust und eklige Haare auf der Brust hat, dann würdest du das gerne im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte tun.«
»Siehst du, du denkst genau das Gleiche von mir wie Jan«, jaule ich auf, doch er schüttelt energisch den Kopf.
»Ich denke ganz und gar nicht das Gleiche über dich wie Jan. Dieser Schwachkopf hat doch überhaupt keine Ahnung, wovon er redet. Zweieinhalb Jahre lang war er mit dir zusammen und zweieinhalb Jahre hat er sich deine merkwürdigen Verhaltensweisen und Zwanghaftigkeiten angeguckt.« Ich öffne
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