Venus und ihr Krieger
ein Leopard fauchte. Ein Insekt krabbelte über Pilas nackte Arme. Sie zitterte vor Ekel und Angst. Ihre Augen weiteten sich bei jedem Geräusch in panischem Schrecken.
Wenn die Tiere sich beruhigt hatten, hörte sie Wasser tropfen. Es drang durch die Spalten und Risse des alten Gemäuers. Dann wieder hörte sie die Wächter lachen. Sie vergnügten sich beim Würfelspiel, das ihnen germanische Gefangene irgendwann beigebracht hatten.
Kraftlos hing Pila in den Ketten und lehnte den Kopf gegen die feuchte Mauer. Hier war der Tod allgegenwärtig. Nur wenige Meter weiter, im Rund der Arena, waren bereits Tausende von Menschen gestorben, manche tatsächlich Verbrecher, die meisten jedoch Unglückliche, denen das Schicksal übel gesinnt war. So wie ihr. Und nun war sie unter all diesen unglücklichen Menschen, deren Seelen ruhelos durch die alten Gemäuer wanderten und vergeblich versuchten, den verrohten und primitiven Wächtern Angst einzuflößen. Und die Menschen, die sie gestern noch bewundert hatten, wie der Bildhauer aus Pompeji, würden morgen auf den Zuschauerbänken sitzen und schreien und johlen und sich am Leid der gequälten Kreatur ergötzen.
Warum waren die Menschen so grausam? Warum wollten heute diejenigen ihren Tod, die ihr gestern noch zugelächelt hatten? Welche Freude empfanden sie, andere sterben zu sehen? War es der Trost für den eigenen Tod, der sie irgendwann einmal ereilen würde? Und warum konnte ein Mensch so schamlos lügen? Vorgeben, sie zu lieben, ihr sein Herz zu schenken? Lügen, dass er sein Leben mit ihr teilen will? Vielleicht würde Claudius auch auf der Tribüne sitzen, neben Romelia, und sie würden beide lachen, wenn Pila starb. Und sie würden sich an den Händen halten und vielleicht küssen … Pila schluchzte auf. Claudius! Es tat so furchtbar weh.
So geht also mein Leben zu Ende, dachte Pila und wunderte sich selbst, dass sie plötzlich ganz ruhig wurde. Ich lege es in die Gunst der Götter. Sie haben über mich gesprochen, sie haben geurteilt. Sie haben verfügt, dass ich meinen Weg auf Erden beende. Wenn meine Seele entschwebt, wird sie mit dem Wind verwehen.
Dann wird sie diejenigen strafen, die sie in den Tod getrieben haben. Irgendwann wird ihre Seele Ruhe finden und ins Seelenheim, in die Schattenwelt eingehen. Wäre sie noch in ihrer germanischen Heimat, vielleicht würden die Elfen oder Riesen sich ihrer Seele annehmen, oder die Geister des Waldes und der Wildnis. Doch hier?
Im Dunkel des Verlieses war es nicht mehr auszumachen, ob es Tag oder Nacht war. Es war auch gleichgültig. Die Vorahnung des Todes schwebte durch die Räume und beunruhigte auch die Tiere. Auch sie waren ihrer Heimat entrissen worden, gefangen nur für den Augenblick, zur Ergötzung der Zuschauer zu sterben.
Oder war es nicht nur ein Augenblick, sondern ein Weg, wie ihn einmal die ägyptische Sklavin Acme beschrieben hatte? Der Tote fuhr in einem Boot über den Fluss. Auf der anderen Seite befand sich das Totenreich. Auch in Pilas Glauben war die diesseitige Welt durch einen dunklen Strom von der Totenwelt getrennt. Befand sie sich bereits auf dem Weg dorthin? Narrten die Geister der Unterwelt sie bereits mit unwirklichen Bildern?
Claudius! Sie sah ihn, den Geliebten, den schönen, stolzen Mann, den mutigen Kämpfer mit dem Schwert, den zärtlichen Liebhaber mit den blauen Augen und der kupferfarbenen Haut. Claudius! Niemals gab es einen anderen Namen für zärtliches Gefühl, prickelnde Sinnlichkeit, tiefe Liebe. Niemals gab es einen anderen Namen für Schönheit, Stärke, maskuline Anmut. Und niemals gab es einen anderen Namen für – Verrat!
Pila starrte in die Dunkelheit. Sie vermeinte, Claudius zu sehen, seinen athletischen Körper, seine glänzende Haut, sein volles, braunes Haar. Warum nur konnte sie ihn nicht hassen? Eine schmerzhafte Sehnsucht nahm von ihr Besitz, ein heftiges Verlangen, das nach Linderung schrie. Claudius! Er hatte sie verraten, eiskalt und niederträchtig. Im gleichen Augenblick, als Pila aus seinem warmen Bett gezerrt wurde, hatte er Romelia hineingezogen. Verräter! Pila biss sich schmerzhaft auf die Lippen. Er war ein Verräter, sagte der vernünftige Teil ihres Ichs, er ist es nicht wert, dass du eine Träne um ihn vergießt. Doch ein anderer Teil ihres Seins bebte und zitterte vor Erregung, wenn sie sich nur seinen Körper vorstellte, sein sanftes Lächeln, den tiefen Blick seiner Augen, seine schmalen Nasenflügel, wenn sie bebten in der Lust ihrer
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