Venus und ihr Krieger
Aufstöhnend ließ er sich neben Pila auf das Dach fallen. Die Wunde blutete stark.
»Komm weiter, wir können hier nicht verweilen«, keuchte Claudius.
»Aber du blutest doch!«, warf Pila ein.
»Na und? Ein Gladiator muss das aushalten«, widersprach er ärgerlich. Sie hasteten weiter auf der nächsten Ebene der Verliese. »Hier durch!« Claudius zwängte sich durch eine Mauerspalte.
Pila blieb mit den Fesseln hängen und stürzte. Sie biss die Zähne zusammen, als der Schmerz sie zu übermannen drohte. Claudius packte sie fest und zog sie empor.
»Wir haben es gleich geschafft!« Vor ihnen lag ein offener Platz. »Das ist der Kasernenhof der Gladiatoren«, flüsterte Claudius. »Komm hier entlang.« Er brauchte nichts zu erklären, sie befanden sich bei den Latrinen. Ein offener Kanal führte unter der Mauer hindurch in das Stadtgelände.
»Müssen wir etwa – hier durch?«, fragte Pila entsetzt.
»Es gibt keinen anderen Weg. Und es gibt Schlimmeres!« Sanft, aber bestimmt schob er Pila in den Kanal. »Duck dich!« zischte er. Dann folgte er ihr. Der Gestank nahm Pila fast den Atem, aber der süße Duft der Freiheit wehte ihnen entgegen, was war da schon eine stinkende Kloake? Im Bereich der Mauer war der Kanal mit Steinplatten abgedeckt. Auf Händen und Füßen krochen sie durch die Fäkalien unter der Mauer hindurch. Auf der anderen Seite öffnete sich der Kanal wieder und führte zum Meer hinunter.
»Nach links, da ist ein Bach!«, hörte Pila Claudius’ Stimme hinter sich. Sie hastete vorwärts, stolperte, stürzte, rappelte sich wieder auf. Im fahlen Mondlicht erblickte sie das Glitzern des Wassers. Mit einem leisen Wehlaut warf sie sich der Länge lang in den Bach und blieb liegen. Das kühle Wasser brachte sie langsam zur Besinnung. Was war geschehen?
Sie spürte eine tastende Hand. »Alles in Ordnung?«, fragte Claudius.
»Bei Odin, nichts ist in Ordnung, aber ich lebe. Zwar nass und stinkend, aber ich lebe!«
Claudius zog sie an sich. Sie hockten in dem gurgelnden Bach, schmutzig, blutig, zerlumpt, und umarmten sich wie zwei Äffchen, die sich gegenseitig vor der schrecklichen Welt schützen wollten.
»Ich hätte es nicht zugelassen, dass dir jemand das Leben nimmt. Nicht die Soldaten, nicht die Löwen, nicht Romelia.« Er hielt ihren zitternden Leib in den Armen.
»Romelia! Ich verstehe nicht …«
»Später, Geliebte, wir müssen weiter!« Aus der Kaserne drangen Schreie, Rufe, das Getrappel vieler Füße. »Sie haben deine Flucht entdeckt und den Tod des Wärters. Los!«
Claudius riss Pila hoch. Sie hasteten noch einige Schritte im Bach entlang, dann kletterten sie ans andere Ufer. Hand in Hand liefen sie durch die engen, dunklen Gassen. Hinter ihnen ertönte Hundegebell.
»Verdammt, sie haben die Kampfhunde losgelassen!« Claudius blickte sich im Lauf um. Die Hunde waren gefährlicher als die Soldaten. »Schneller!«
Die schweren eisernen Fesseln an den Hand- und Fußgelenken behinderten Pila beim Rennen. Doch sie hatte noch genug Kraft, um Claudius’ Tempo zu halten.
»Lauf diese Gasse entlang bis zu der großen Säule, dann an der Ölmühle links hinein bis zu den Arkaden vor dem Tuchmachergeschäft. Dort kletterst du die Treppe hinauf auf das Dach der Garküche. Keine Angst, da ist jetzt niemand.«
»Und du?«, fragte Pila ängstlich und klammerte sich an Claudius fest.
»Ich lenke die Hunde auf eine falsche Fährte. An der Garküche treffen wir uns wieder.«
»Nein!«
»Doch!« Claudius stieß Pila unsanft von sich, trat mehrmals heftig in einen Müllhaufen und hastete durch eine enge Gasse in die entgegengesetzte Richtung.
Pila lief in die andere Richtung. An der Säule auf einem winzigen quadratischen Platz, von dem vier Gassen in die Himmelsrichtungen wegführten, lief sie erst in eine Gasse hinein, kehrte um, rannte in die nächste. Sie entdeckte eine Querverbindung über einen Hinterhof, lief irgendwelche Stufen hinab und wusste nicht mehr, wo sie sich befand. Dann sah sie die Ölmühle und prallte gegen riesige Amphoren, die davor standen. Erschrocken hielt sie inne. Das Hundegebell entfernte sich. Ihr Herz schlug bis zum Hals, das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Wo war Claudius?
Sie ging jetzt langsamer und verbarg sich in den dunklen Schatten der Hauswände. Einige finstere Gestalten eilten vorbei, ohne die Flüchtende zu bemerken. Es roch nach Unrat. Vor sich erkannte sie die Garküche, deren Markisen zusammengerollt waren. Daneben führte eine schmale Treppe
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