Venus und ihr Krieger
nach oben. Über der Garküche türmte sich ein würfelähnliches Gebäude wie eine hinaufgeworfene Kiste. Pila schlich die Stiege hoch und hockte sich neben die Wand. Auf der anderen Seite dieses offensichtlich nur aus einem Raum bestehenden kleinen Gebäudeaufsatzes befand sich die nächste Gasse. Von dort vernahm sie Stimmen, Lachen, trunkenen Gesang – eine Taverne! Langsam normalisierte sich ihr Herzschlag, aber die Sorge um Claudius ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Pila vernahm Schritte von leichten Frauenfüßen, die die Treppe emporkamen. Atemlos presste sie sich an die Wand.
»Pila!«, hörte sie leise ihren Namen rufen. Sie wagte nicht zu antworten. Wer konnte wissen, dass sie hier war?
Die Schritte näherten sich, gegen den dunklen Himmel sah Pila die Silhouette einer jungen Frau. Sie trug ein leichtes Gewand.
Eine meretrix !
»Pila!« Die Frau blickte sich suchend um. Pila rührte sich nicht. Fast wäre die Frau über sie gestolpert. »Hier bist du!«, sagte sie erleichtert und zog Pila in das kleine Würfelhaus. Sie schlug die schäbige Holztür zu, nachdem sie ein Schild über den Eingang gehängt hatte. »Occupata!«
Das Innere bestand tatsächlich nur aus einem zellenartigen, fensterlosen Raum. Pila stolperte über die Kalksteinschwelle und prallte gegen die Rückwand dieser cella meretricia .
»Moment, ich mache Licht«, sagte die junge Frau und entfachte eine kleine Öllampe. Im schwachen Licht der Lampe konnte Pila Einzelheiten erkennen. Die Frau war klein, schlank und noch recht jung. Sie trug ein kurzes, schmuckloses Kleid von grellgelber Farbe. Der Stoff war dünn und ließ ihre sanften Kurven darunter erahnen. Ihr Haar hatte sie kokett zu einer Lockenfrisur aufgesteckt, ihre Hand- und Fußgelenke zierten schmale goldene Reifen und Kettchen mit kleinen Amuletten. Ihr kindliches Gesicht wirkte anmutig, überhaupt wirkte sie sehr gepflegt und anziehend. Trotzdem presste Pila sich ängstlich an die Wand und starrte sie an.
»Keine Angst, ich helfe dir«, sagte die Meretrix und lächelte. »Ich heiße Velicia. Claudius hat mich eingeweiht, um euch zu helfen. Komm her!« Sie deutete auf eine gemauerte Bettstatt an der Stirnseite des Raumes, auf der eine dicke Matratze und etliche Kissen lagen. Die Wand um das Bett war rot bemalt. Zögernd legte Pila sich hin, stieß aber unsanft mit dem Kopf an die Wand. Velicia lachte leise.
»Bei den Göttern, bist du aber groß!«, staunte sie. »Dann setz dich wenigstens. Zieh deine Lumpen aus, ich lasse sie verschwinden. Claudius hat ein Kleid für dich besorgt, wie es die einfachen Frauen der Handwerker und Händler tragen.«
Sie goss Wasser aus einem Krug in eine irdene Schüssel und stellte sie vor das Bett. Jetzt erst bemerkte sie Pilas Fesseln. Im Schein der kleinen Lampe untersuchte sie das schwere Eisen.
»Du musst Schmerzen haben«, sagte sie mitleidig. »Vielleicht kannst du sie abstreifen, wenn du die Gelenke mit Schweinefett einreibst. Ich habe eine kleine Schüssel da. Versuch es!« Doch die Fesseln saßen fest und eng um Pilas Gelenke.
Plötzlich klopfte es leise an die Tür. »Besetzt!«, rief Velicia. »Kannst du nicht lesen?«
»Man sagt, für mich steht die Tür immer offen«, vernahmen sie Claudius’ Stimme.
Die beiden Frauen atmeten gleichzeitig auf. Claudius schlüpfte in die Kammer hinein und griente über das ganze Gesicht.
»Ich habe etwas mitgebracht.« Er hob eine Hand, in der er einen Hammer und einen Meißel hielt.
»Bei den Göttern, wo hast du das her?«, fragte Velicia. Claudius zwinkerte Pila zu. »Ich habe der Werkstatt eines Bildhauers einen kleinen Besuch abgestattet. Dort drinnen sind übrigens immer noch die Hunde.«
»Du bist ihnen entkommen!«, hauchte Pila.
»Natürlich. Es ist schon von Vorteil, wenn man sich in den Gassen von Pompeji auskennt.« Jetzt zwinkerte er Velicia zu.
»Ihr kennt euch?«, fragte Pila leise.
»Schon lange. So lange, dass ich bedingungsloses Vertrauen zu ihr habe.« Claudius bedachte Velicia mit einem liebevollen Blick, der Pila nicht entging.
»Leg deine Arme hierher«, forderte er Pila auf. Mit gezielten Schlägen meißelte er die Fesseln auf. Dankbar rieb Pila ihre blutigen Gelenke.
»Wie geht es deinem Bein?«, fragte sie.
»Nicht der Rede wert«, winkte Claudius ab.
»Bist du verletzt?«, fragte Velicia erschrocken.
»Nein!«, antwortete Claudius.
»Ja«, sagte Pila.
»Zeig dein Bein!«, forderte Velicia ihn auf. »Oh, die Wunde ist verschmutzt. Ich wasche sie dir
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