Venus und ihr Krieger
ihre kleinen, aber kräftigen Hände umkrallten Pilas Hals. Pila sprang auf und stieß Romelia von sich. Der Hocker, auf dem Romelia saß, kippte nach hinten und mit ihm die schreiende Romelia. Mit wenigen Schritten rannte Pila hinaus auf den Gang, geradewegs in Valerius’ Arme.
»Was ist hier los?«, fragte er streng.
Pila warf sich dem Senator vor die Füße. »Verzeih mir, Herr, verzeih mir! Ich habe die Hand gegen die Herrin erhoben.«
Valerius runzelte die Brauen. »So? Das steht dir nicht zu, Sklavin! Immerhin ist sie die Herrin des Hauses und du hast zu gehorchen!«
»Das weiß ich, Herr. Es liegt mir fern, mich dem Dienst zu verweigern. Doch diesmal wollte sie mir das Haar abschneiden! Herr, das ist für mich die Todesstrafe! Hab Erbarmen!«
»Ach, schon wieder mal?« Valerius hob die Augenbrauen. »Erhebe dich, Pila. Ich mag nicht, wenn du wie ein Wurm vor mir auf der Erde kriechst. Du bist schön und stolz. Ich weiß, dass du dich nicht gegen deine Herrschaft richten würdest. Dein Haar ist tatsächlich eine Zierde und ich verstehe, dass du dich nicht davon trennen willst. Doch letztlich bist du mein Eigentum und ich kann mit dir verfahren, wie es mir beliebt. Das gleiche gilt für die Herrin.«
»Herr, das weiß ich. Verlang von mir, was du willst, ich werde es tun. Doch lass mir mein Haar! Du hast einmal nach meinen Göttern gefragt. Es sind andere Götter als eure in Rom und die germanischen Sitten sind andere als die römischen. Wenn man einer Frau das Haar raubt, so verurteilt man sie als Verbrecherin.«
»Tatsächlich? Das ist ja interessant.« Valerius streifte die Toga ab und warf sie einem Sklaven zu. »Bring mir Wein und lass mich dann mit Pila allein! Ich glaube, ich bekomme heute noch etwas Lehrreiches zu hören.«
Er ließ sich auf einer Kline nieder und ergriff den Weinbecher. Es war ein wertvoller Silberpokal und sein Gesicht spiegelte sich seltsam in der verzierten Oberfläche.
»Hier ist eine Welt und dort ist eine Welt«, grübelte er und betrachtete immer noch sein Spiegelbild. »Und man denkt, in der anderen Welt ist es genauso wie in dieser Welt. Aber das stimmt nicht.« Er blickte auf. »Setz dich zu meinen Füßen, schöne Pila, und erzähle mir von den Sitten deines Volkes. Was hat es für eine Bewandtnis mit dem Haar?«
Pila hockte sich vor die Kline und wagte nicht, Valerius anzuschauen. Sie hatte Dinge getan, die kein Sklave wagen durfte, wollte er nicht härteste Bestrafung riskieren. Es war ein großes Risiko, Valerius um Hilfe anzuflehen. Aber es war auch ihre einzige Chance.
»In meinem Volk tragen alle Frauen langes Haar. Es ist das Zeichen eines ehrbaren Weibes, das die Sitten und Gebräuche achtet, es ist der Schmuck einer Freien. Denn ich bin … ich war eine Freie.« Pila stockte.
»Sprich weiter«, forderte Valerius sie auf.
»Ehebruch, eine verbotene Liebe, der Verstoß gegen die Gesetze der Sippe, das alles sind Gründe, eine Frau zu verurteilen. Im Beisein ihrer Verwandten wird ihr das Haar abgeschnitten. Eine Frau ohne Haar ist eine verurteilte Verbrecherin. Dann wird ihr das Kleid heruntergerissen. Sie wird aus dem Haus gejagt und unter Rutenschlägen durch das Dorf getrieben. Diese Frau findet kein Erbarmen und so ist der Tod für sie nur eine Erlösung.«
»Wie tötet man sie?«, fragte Valerius leise.
»Ihr werden die Augen verbunden und ein Stein wird unter ihrem Körper angebracht. Entweder wird sie mit einer Rute erwürgt, mit Steinen erschlagen, mit Messern erstochen, manche auch lebend im Moor versenkt. Dann wirft man Reisig darüber und rammt Pfähle in ihren Leib, damit die Seele nicht wiederkehrt.«
Valerius rümpfte die Nase. »Welch archaische Sitten«, meinte er kopfschüttelnd. »Seid ihr Germanenweiber deswegen so keusch, weil ihr Angst vor dieser Strafe habt?«
»Nein, Herr. Nur so kann die Sippe überleben, wenn sich alle an die Regeln halten.«
»Es ist ein hartes Leben dort in der Wildnis, nicht wahr?« Pila nickte stumm.
»Eine seltsame Heimat, die vor Wäldern starrt und von fauligen Sümpfen durchzogen ist. Und sie bringt diese eigenartigen Sitten hervor. Es ist unheimlich.« Valerius blickte sie gedankenversunken an. »Wenn ich deine Erzählung richtig deute, dann würdest du dich als verurteilte Verbrecherin fühlen, wenn dir dein Haar abgeschnitten wird.«
»Ja, Herr, so ist es.«
»Aber du hast gar kein Verbrechen begangen. Du bist nicht verheiratet, also kannst du auch keine Ehe brechen. Du bist nicht verliebt, du
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