Venus
indem die Geschlechter wie beim Foxtrott abgeklatscht wurden, bliebjedoch der Fluss der Liebe gleich, er brauchte nicht die Richtung zu ändern, er war geschlechtslos, wie Sand in einem Zeitglas floss er von A nach B und, als das Zeitglas umgedreht wurde, mit ebengleicher Stetigkeit von B nach A.
Die Sensation der ersten Liebesnacht, der Nacht, als Alien in Winter steckte und nicht länger umgekehrt, war beiden zum Sterben schön. Sie wollten verschmelzen und eins werden mit dem All, aus dem sie kamen und das sie trug.
Bei Tag besehen war die Sache nicht hundertprozentig gelungen: Ihre Körper schmerzten, die Narben schmerzten, die Pillenberge zur Aufrechterhaltung des neuen Geschlechts mussten beschafft sowie täglich mit wachsendem Ekel vertilgt werden. Bis ans Lebensende würde das so gehen, so viel war gewiss, bis an beider Lebensende, welches natürlich, dem Blutkreislauf der Liebe Rechnung tragend, gemeinsam erfolgen würde.
Sie waren zwanzig Jahre alt, als sie einander standesamtlich heirateten. Der Mann, der einst Frau war, heiratete die Frau, die einst Mann war. Gleich darauf wurden sie von einer großen Traurigkeit befallen, weil sie immer Freaks bleiben würden, weil sie sich niemals voneinander würden trennen können, weil sie zu feige waren, zu abhängig, das neu errungene Geschlecht an anderen, an ahnungslosen Partnern auszuprobieren, weil sie einzeln lebenslang nur halb sein würden. Genauso wie wir.
Alien, der mit seiner neu erworbenen Männlichkeit gern andere Frauen beglückt hätte, wurde von Winters neu erworbener Weiblichkeit davon zurückgehalten. Alien begann, einen Macho-Mann zu imitieren, Wintermutierte zum Ewigweiblichen. Das Transzendentale ihrer Liebe war gestört. Die alten Körper waren Fallen gewesen, denen mit Blut und Tränen zu entkommen war. Doch auch die neuen erwiesen sich als Fallen. Winter und Alien kamen zu der Erkenntnis, dass jeder Körper eine Falle sei und die Welt, in der die Körperfallen aufgestellt waren, ein Schattenreich. Es gab nur noch eine Lösung, die Lösung für alle ihre Probleme, darüber waren sich die Liebenden einig: die Befreiung vom Körper, die totale Auslöschung des Egos, die Verschmelzung mit dem Größeren, den Sieg über den Trieb.
Winter und Alien begannen, neben den Hormonen von Glückspillen und Tanz zu leben. Sie schlingerten geldlos und planlos durchs Land, wund getanzt, verfilzt, halb verhungert enterten die beiden vor zwei Jahren die Tempelkirche zum heiligen Franz im East Village, Manhattan.
Toga sah die beiden Geschöpfe und dankte etwas zornig Gott, dem er ja zu danken hatte für jedes Geschenk, und da die Welt Gottes Werk war und die Dinge einem perfekten Plan folgten, waren auch diese verlausten, verfilzten Kinder Teil dieses Plans, waren von Gott geschickt, der in diesem Hause Allah, Jehova, Krishna, Jesus, Buddha, Shiva genannt wurde. Folglich mussten sie aufgenommen werden.
Winter und Alien wurden Glückliche Sklaven, da sie sich aber weigerten, in getrennten Zimmern zu wohnen, wie es die Hausregeln für Paare vorschrieben, die keine spirituelle Weihung erhalten hatten, wurden sie in einer Hauruck-Zeremonie eingeweiht und erhielten den Segen des Allmächtigen. Jedenfalls wandte der hörbar nichts ein. Sie betreuten fortan das von Toganeu geschaffene Obdachlosenversorgungs-Programm »Daily Bread«. Sie kochten, buken, wuschen, kleideten, fütterten, tränkten, opferten sich ganz und gar auf für das, was sich vor der Schwelle der Tempelkirche an menschlichem Abschaum angesammelt hatte, und sie wurden darüber sehr fromm, sogar ihre Tänze wurden fromm.
Venus, die sich an den beiden ins Gebet versunkenen Vogelscheuchen respektvoll vorbeigeschoben hat, findet sich im Regenbogensaal, im Allerheiligsten der Tempelkirche wieder. Sie weiß nicht, was man tut, wenn man derartige Gefilde betritt, ist nervös und verunsichert. Sie sieht den bauchigen Bliss Swami neben einer bauchigen Trommel sitzen, genauso reglos und versunken wie die beiden Dreadlocks. Er nimmt keine Notiz von ihr. Sie steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Am liebsten würde sie kehrtmachen.
Das Zentrum des Altars bildet eine Gruppe grellbunt gekleideter Holzpuppen. Eine davon ist blau angemalt, eine andere ist rosa, in der dritten erkennt sie mit einiger Mühe Jesus. Auf der linken Seite des Tempels stehen kleine Throne mit blattgoldenen Rahmen, Fotos von Gurus und kirchlichen Oberhäuptern, würdig verhüllten alten Männern mit Bart und ohne Bart, mit
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