Venus
Kopfbedeckung und ohne. Sogar der Papst ist dabei, und auch den Dalai-Lama hat Toga aufgestellt, obwohl er ihn nicht ausstehen kann. Aber berühmt ist berühmt. Die Fotos sind mit frischen Blumengirlanden umwunden. Venus, die in modernistischen Glaspalästen groß geworden ist, an die sie sich zwar nicht erinnert, die sie aber in den Knochen hat, ist ja schon vertraut mit dem kitschigen Interieur der Glücklichen Sklaven Gottes, mitder Tendenz zu Vollgestopftheit und Farbenpracht, in der selig und weggetreten ihr Romeo sitzt. Sie beschließt kurzerhand, dass ihr gefällt, was ihm gefällt, und begibt sich, versöhnt mit dem Geschmacksgefälle, in den Schneidersitz. Erst jetzt nimmt sie wahr, dass seitlich, mit Kopf und Körper rhythmisch nach vorn gen Wand stoßend, der finstere Orientale mit dem hohen Korkhut und dem bunten Flickenmantel steht und einen Singsang vor sich hin murmelt. Er wendet sich nach ihr um, und es kommt ihr so vor, als zwinkere er ihr in eindeutiger Absicht zu. Sie erschrickt und wendet den Blick ab.
Ein kleiner Junge betritt den Raum, kniet nieder, berührt mit der Stirn das Parkett, steht wieder auf, läuft auf unsere Venus zu, faltet possierlich die Hände auf Kinnhöhe und neigt den Kopf, um sie zu grüßen. Dann setzt es sich neben sie, gleitet lautlos in den Schneidersitz. Venus ist beeindruckt. Lautlos in den Schneidersitz gleiten, das macht was her, das finden sogar wir. Sie schließt die Augen, ihre Sinne sind so geschärft, dass sie alles um sich herum intensiver wahrnimmt. Das Rauschen eines Vorhangs oder Gewands. Das Knarren des Parketts. Sie riecht sogar den leicht pudrigen Duft ihres eigenen Haares.
Der Bliss Swami räuspert sich, legt den Riemen der mit Bast bespannten Trommel um seinen massigen Hals, kneift die Augen zusammen und trommelt routiniert los. Es ist ein schwerer trampelnder Rhythmus. Venus fühlt sich unwohl, sie will aufstehen und weggehen, aber der Anblick seines schweren Körpers hält sie zurück, der schlafende Ausdruck seines Gesichts, die Wucht seiner bratpfannengroßen Hände, die im freien Flug, locker und beiläufig, auf die Membrane der Trommelauftreffen. Wie schön er ist, denkt sie beklommen. Und ist es nicht er, der ein neues Licht angezündet hat inmitten ihrer Finsternis? Sie hat das Gefühl, der Swami sei die Lösung für all ihre Probleme. Und sie entscheidet, zu bleiben, schon weil sie beschlossen hat, dass ihr gefällt, was ihm gefällt.
Bum. Rumbum. Bum. Rumbum. Der Rhythmus schafft ein vibrierendes Band zwischen ihm und ihr. Plötzlich will sie wissen, welche Farbe seine Augen haben. Warum weiß sie das nicht? Mach die Augen auf, denkt sie und starrt ihn an. Mach die Augen auf. Und als hätte er sie gehört, als hätte sie ihn hypnotisiert, macht er die Augen auf. Sie sind blau.
Das Blau seiner Augen fährt wie ein Schwert in ihr Innerstes. Sie möchte seine Augen küssen. Sie wünscht sich Liebe ins Blau seiner Augen. Sie wünscht sich, dass eines Tages sein Blick in Liebe auf ihr ruht. Der Bliss Swami hat angefangen zu singen. Seine Stimme ist laut und hell und nicht hundertprozentig treffsicher. Der Junge wiederholt gehorsam jedes Melodiestück, apportiert es mit dünnem zittrigem Stimmchen, er scheint alle Worte auswendig zu kennen. Das Duett wirkt intim. Und das ist gar kein Junge. Das ist eine Frau, eine kleine Frau mit verwirbeltem rotem Haar und ältlichem Spitzmausgesicht, auf die Venus eifersüchtig ist, weil sie mit dem Riesen etwas teilt, das Venus nicht mit ihm teilen kann: ein Lied. Unsere Venus erhebt sich, mit abgestützten Armen und knackenden Kniegelenken, von lautlos keine Spur, murmelt eine Entschuldigung und verlässt den Tempel. Sie kennt die Sprache nicht, sie kennt die Lieder nicht, sie kennt die Götter nicht. Außerdem ist hier ein Mord aufzuklären.
4 Feenkuss
Die Mordaufklärung bleibt ein unklares Projekt. Venus läuft wochenlang herum, ziellos, wie aufgezogen, Treppe rauf, Treppe runter, macht auf dem Absatz kehrt, wechselt den Raum, kann sich nicht konzentrieren. Niederschlagen, entweihen, zerhacken möchte sie die bemalten Holzpuppen, die ihr den Mann wegnehmen, den Mönch, den sie doch haben will, und es geht nicht an, dass sie nicht haben kann, was sie haben will. Wo gibt’s denn so was!
Ihre weiße perlenbestickte Verkleidung, der cremefarbene Punjabi-Suit von Kuki, erinnert sie an ihre Situation. Sie wäre gern allein, aber in diesem Haus kann man nirgends allein sein. Toga macht sich im
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