Venus
Goldbrokatzimmer zu schaffen. Sie will nicht, dass er sie sieht. Er geht ihr auf die Nerven. Er ist ständig präsent, Tag und Nacht, mit seiner Stehaufmännchen-Attitüde, seiner gespielten Sanftheit, der eingecremten Stimme, dem Wichtelbart.
Jedes Mal, wenn er Venus etwas erklärt, nickt er bei jedem Wort so nachdrücklich, als wolle er es in ihren Kopf klopfen. Sein Lachen hat etwas von einem Schluchzen. Lustig ist es nie. Es bricht manchmal aus ihm heraus, genau wie die Rülpser, unverhofft auch für ihn selbst, wie es scheint. Es bricht heraus, tropft lautlos an seinem Bart herunter und versickert im Nichts. Er turntzwischen Stimmungen, Themen und Ansichten herum wie ein Äffchen.
Keine Ahnung hat der Mann, in welchen Schwierigkeiten jemand stecken kann, keinen Schimmer von der Welt da draußen, denkt sie, denn sie weiß ja nichts von Togas mörderischer Vergangenheit. Vielleicht hätte sie dann mehr Respekt vor ihm, so von Mörder zu Mörder. Aber so will sie sich an ihm, der gerade einen Schrank auf Hochglanz wienert, einfach nur vorbei in ihr Zimmer stehlen.
Doch er stellt sich ihr in den Weg. »Der Monat ist fast zu Ende«, sagt er und denkt: Immerhin trägt sie kein Make-up mehr. Dafür ein Kopftuch.
Sie sieht ihn fragend an. »Das Zimmer muss neu vermietet werden«, sagt er. Sie sieht nicht aus, als hätte sie einen Menschen getötet, denkt er, aber sehe ich so aus?
»An wen?«, fragt Venus. Ein Monat ist um, denkt sie. Ein ganzer Monat ist um. Was habe ich nur die ganze Zeit gemacht? Toga hebt die haarigen Hände weit über den Kopf. »Mamma mia, an dich oder an jemand anders. An den, der bezahlt.« Ich sollte nicht so hart zu ihr sein, denkt der von chronischem Sodbrennen geplagte Diener des Dieners. Immerhin ist sie am richtigen Platz, um Buße zu tun, so wie ich Buße tue. Dieses Haus ist für Menschen wie uns gemacht, für Flüchtlinge, für Müde, für Suchende, für Menschen, die vergessen wollen, die finden wollen.
Venus sitzt der Schreck in allen Knochen. Seit sie den Bliss Swami fast den gesamten Uhrenerlös ausgehändigt hat, hat sie über Geld nur noch einmal nachgedacht, nämlich als sie erwog, einen Privatdetektiv anzuheuern. Wann immer sie Lust hat, nimmt sie vom welk-schmutzigen Haufen der übrig gebliebenen Dollarscheine einenfür Hotdogs, Kaffee, Zigaretten. Der Tempel-Kühlschrank ist immer voll, das Bett bezieht sich von selbst, sie ist Teil eines funktionierenden Organismus, aber sie hat vergessen, dass sie dafür bezahlen muss.
Sie läuft in ihr Zimmer, öffnet die Schublade der Kommode, schreit auf, weil eine riesige Kakerlake aufgeschreckt davonkrabbelt, und zählt das verbliebene Geld.
»Wenn du ein bescheideneres Zimmer beziehst, wenn du an unseren Programmen teilnimmst und Service im Dienste des Herrn zu verrichten bereit bist, dann würde sich die Miete drastisch reduzieren«, ruft Toga ihr nach, aber sie hört gar nicht hin. Sie ist aufgewühlt, durcheinander, in ihrem Kopf tanzen der tote Millionenerbe, die Kakerlake und der Bliss Swami miteinander und werfen die Beine wie die Donkosaken. Hundertachtundvierzig Dollar und dreißig Cent. Sie muss Geld besorgen. Aber wie diesmal?
Sie wagt sich aus dem Haus, sonnenbebrillt, ängstlich. Vor Kiosken blättert sie verstohlen Zeitungen durch, doch sie findet keine Hinweise auf neue Entwicklungen in besagtem Mordfall.
Sie wandert zum Tompkins Square Park, beobachtet die Obdachlosen, die dort wie Tiere in einem großen Freiluftgehege hausen und plötzlich, als hätte jemand nach ihnen gepfiffen, alle zum Ausgang laufen. Der Park erbricht menschlichen Abschaum. Er kotzt die Elenden aus. Sie bilden eine Schlange vor einem Kleinbus. Abgerissene, rachitische, betrunkene Gestalten in stinkenden, zerlumpten Kleidern.
Die beiden blassen Kinder mit den Dreadlocks und den schwer auszumachenden Geschlechtern, die unsere Venus im Tempel gesehen hat, teilen Plastikteller mitdampfendem Essen aus. Das Mädchen hat ums linke Auge einen schwarzen Ring tätowiert. Der Junge hat stechend grasgrüne Augen. Oder andersherum. Venus ist sich nicht sicher, wer was ist. Sie nähert sich langsam dem Kleinbus. »Willst du helfen?«, fragt der vermeintliche Junge.
Sie wirft einen Seitenblick auf die Gestalten, die in der Schlange stehen, und schüttelt den Kopf. Wir schütteln auch den Kopf über so viel Diskrepanz.
»Jeden Tag eine gute Tat!«, sagt der Junge und lacht mit merkwürdig heller Stimme. »Wie bei den Pfadfindern.«
In der Schlange gibt
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