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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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York Post täglich mit Dutzenden von Anrufern herum, die das Steakmessermodel gesehen haben wollen, in Manhattan, in New Mexico, auf Hawaii, sogar in China. Die meisten Anrufer waren nicht zu gebrauchen. Nur zwei Protokolle hat sich Boone zum Rückruf bereitgelegt. Ein Uhrenhändler will gesehen haben, wie sein Kollege einer blonden Frau im roten Kleid ein Goldstein-Fabrikat passender Beschreibung abgekauft, aber keine Quittung geschrieben hat. Ein Polizist hat im Tompkins Square Park eine Frau gesehen, die ihm bekannt vorkam, hatte aber erst später angesichts des Fahndungsfotos eine Ähnlichkeit festgestellt.
    Aktuell starrt er im goldorangen Licht der zwischen den Wolkenkratzern untergehenden Sonne auf den Obduktionsbericht, als könne er die Abfolge der Messerstiche decodieren, ihnen ein Muster, eine Geheimbotschaft entringen.
    Auf Boones Schreibtisch, dessen hygienischer Zustand unser Mitleid erregt, liegt neben dem Bericht ein kleiner Haufen bekleckerter blassgrüner Karteikarten, die Boone in krakeliger Schrift mit Wörtern beschrieben hat. Die Karteikarten sehen aus, als würden sie seit Jahren benutzt. Boone ist ein sparsamer Mann, überdies bringen ihm die Karteikarten zuweilen Glück. Langeweile?, steht auf der ersten. Drogen?, auf der zweiten. Weitere sind zu erkennen. Lust? Eifersucht? Rache? Notwehr? Das Wort »Notwehr« ist durchgestrichen.
    Boone sieht auf die Uhr. Feierabend, murmelt er vor sich hin.
    Aber was ist das, Feierabend? Was macht man am Feierabend? Den Abend feiern? Boone weiß, wie er denAbend feiern wird. Er hat sein Joggingzeug im Auto. Der Doppelwhopperbauch muss weg. Neue Wohnung, neues Leben, neue Figur. Ein schlanker Rentner will er sein, wenn schon Rentner. Einer, der eine gute Figur macht beim Taubenfüttern. Er lacht verächtlich und wirft noch einen Blick auf die Daten der Zeugen. Ein Uhrenverkäufer, ein Polizist. WATCH EXCHANGE hat schon zu. Das örtliche Polizeirevier ist auf der Avenue C, oben zwischen 9. und 10. Straße. Gesehen haben will der Kollege die Frau im Tompkins Square Park. Wir flüstern Boone ein, den geplanten Ausdauerlauf von der Brooklyn Bridge ins East Village zu verlegen, und wir machen das so diplomatisch, dass er glaubt, ganz allein auf die Idee gekommen zu sein.
    Es ist noch hell, als er auf der Avenue B hinter einem weißen klapprigen Kleinbus parkt, an dem sich eine Schlange gebildet hat. Vor dem Joggen will er quer durch den Park zum Polizeirevier. Er trägt also noch nicht den Jogginganzug, sondern sein Räuberzivil: schmuddelige braune Bundjacke, No-Name-Jeans, schwarzes verschwitztes Hemd. Ein Umstand, der ihm die nun folgende schicksalhafte Begegnung einbringt. Als er den Park betritt, tippt ihm jemand auf die Schulter. Er dreht sich um mit der Hand an der Dienstwaffe. »God bless you«, sagt ein weiß gekleidetes feenhaftes Wesen, drückt ihm etwas in die Hand und küsst ihn auf den Mund.
    »Kannst du fahren?«, fragt Alien unsere Venus mit gesenkter Stimme, die den Stimmbruch noch nicht erlebt zu haben scheint. Venus, die gerade hinter Winter und Alien in den weißen klapprigen Kleinbus steigt, um mit ihnen zum Tempel zurückzufahren, hat keine Ahnung.
    »Winter kann auch nicht fahren«, ruft Alien, als Venus nicht antwortet. »Aber ich. Nur ich hab keinen Führerschein.« Winter lächelt Alien verliebt an. Venus denkt an die stinkenden, zerlumpten Menschen, die sie im Park zurückgelassen haben. Wird auch sie bald dort hausen? Wird sie in der Schlange stehen, um eine Suppe zu holen, einen Muffin, einen Kuss, einen Segen?
    Sie hat immer noch keine Idee, wie sie Geld auftreiben könnte. Winter und Alien unterhalten sich. Winter spricht viel, aber sie nuschelt so stark, dass Venus kein Wort versteht. Wie alt die beiden wohl sind? Ob sie Geschwister sind? Aber wer ist der Bruder, wer die Schwester?
    Mit angehaltenem Atem schleicht Venus die Treppe hoch, aber Toga hört sie doch. Ganz in Weiß stellt er sich ihr in den Weg. Sein Gesichtsausdruck ist milde, seine Stimme ist leise, dennoch wirkt der Zwerg bedrohlich. »Hast du das Geld dabei?« Sie schweigt. Ihre letzten Kröten trägt sie bei sich. Der Zwerg kriegt die jedenfalls nicht.
    »Geld ist nicht wirklich wichtig«, säuselt Toga.
    »Na also«, gibt Venus patzig zurück.
    »Nicht im spirituellen Sinne«, sagt Toga und wirft das Geschirrtuch über die Schulter, um sich bequemer in den Türrahmen lehnen zu können. »Aber wir leben nun mal im Zeitalter des Materialismus. Dazu Manhattan, beste

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