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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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verschleppt werden.
    Toga brachte Bringfriede, von ihrem apokalyptischen Vortrag und seiner eigenen Güte betört, in der Tempelküche unter, die zu diesem Zeitpunkt das Zentrum allerbösester Reibereien war, da die malaiischen Köche keinerlei Interesse daran zeigten, das koschere Kochen zu lernen, was wiederum die Fraktion der orthodoxen Juden aus dem Haus trieb.
    Erst als unsere Venus Bringfriedes Zimmer betritt, einen Verschlag, der jeder Beschreibung spottet, versteht sie Benitos »Na halleluja«. Großteile des Zimmers werden von Strickutensilien eingenommen, Venus sieht Stapel von überdimensionalen Nadeln, ganze Gebirge mehrfarbiger Wollreste sowie mehrere Lagen bereits fertig gestrickter unförmiger Pulloverteile. Venus sieht außerdem einen Haufen einzelner Schuhe, ein Regenfass voller Kronkorken und Dutzende Heiligenbildchen. Bringfriede, das alte Kind, das mit Bliss Swami in der Abendzeremonie gesungen hat, begrüßt sie mit einem faden feuchten Altweiberhauch und der Frage: »Rieche ich aus dem Mund?«
    »Nein«, lügt Venus überrumpelt.
    »Ich trinke nämlich jeden Morgen ein Glas Eigenurin«, erklärt Bringfriede.
    Das ist ja ekelhaft, denkt Venus. Nur Bruchstücke von Bringfriedes Vortrag erreichen sie danach: Derzeit miserable Schwingungen. Jede Menge schlechtes Karma. Schwarzer Qualm, der Seelen dauerhaft verrußt.
    Bringfriede entzündet nun einige getrocknete Blätter, die stark nach männlichem Schweiß riechen, wirft sie ineine flache handtellergroße Muschelschale und bedeutet Venus, ihre Arme zu heben, da sie spirituell gereinigt werden müsse.
    Venus hebt ihre Arme und lässt die Prozedur klaglos über sich ergehen. Was kann spirituelle Reinigung schaden, denkt sie. Hauptsache, sie hat eine Bleibe. Mehr als Bringfriedes Wahnsinn stören sie die Techno-Bässe, die aus dem Zimmer ihrer neuen Nachbarn Winter und Alien dröhnen. In diesem Moment stellt Venus beklommen fest, dass Bringfriede die ganze Zeit gesprochen und sie gar nicht zugehört hat.
    Während die kleine Frau strickt, erklärt sie Venus, an welche Regeln sie sich fortan zu halten habe. Dabei übertönt ihre leise Stimme kaum das Klappern der riesigen Nadeln. Nun, da sie nicht mehr Temporäre sondern Permanente sei, habe sie alle Rechte verloren, erfährt Venus. »Dafür hast du jetzt jede Menge Pflichten«, sagt Bringfriede und kichert solidarisch, wobei sie stark lückenhafte Zähne zeigt. Sie drückt Venus einen Zettel in die Hand. Mit wachsender Nervosität liest die, welche Eckpfeiler fortan ihr Tag haben soll. Wecken um 4.30 Uhr, 5–6 Uhr stille Meditation im Tempel, 6–7 Uhr Gesang und Tanz, 7–8 Uhr Vorlesungen, Gebete, Gesprächszirkel, 12–21 Uhr: diverse Arbeiten in Küche und Gästebereich, 22 Uhr Nachtruhe.
    »Das schaffst du schon«, sagt Bringfriede, »im Kloster ist es schlimmer, da war ich nämlich schon.« Auch in der Hölle war Bringfriede bereits, wie wir wissen, aber das erzählt sie unserer Venus nicht. Außerdem hört die sowieso nicht mehr hin. Sie wird ab sofort den Alltag des Bliss Swami teilen, ihm nah sein, ihn besser kennen lernen, ihn von ihren Vorzügen überzeugen, sobald sie welche ausgemacht hat, was kann man sich Schöneres denken? Sielässt die Umarmung des Orangen Riesen in Endlosschleife Revue passieren und schläft mit fast wohligem Gefühl ein.
    Wenig später zieht sie jemand am großen Zeh. Mitten in der Nacht. Venus schreckt auf. Sie sitzt im Halbdunkel im Hochbett und stößt mit dem Kopf an die Decke. Es ist ihr, als wäre sie eben erst eingeschlafen. Hat sie das alles geträumt?
    »Aufstehen!«, wispert Bringfriede, die bereits fertig geduscht ist und eben in eine viel zu große Latzhose steigt. »Ich hab deinen Wecker ausgeschaltet.« Venus reibt sich die Augen. Sie hat gar keinen Wecker.
    »Am großen Zeh ziehen ist die sanfteste Art, jemanden zu wecken, weil der große Zeh weit weg vom Herzen ist«, erklärt Bringfriede. »Dann können die Traumgeister in Ruhe davonziehen und du kriegst keinen Schreck.«
    Venus, der das Herz bis zum Hals schlägt, mustert ihre Mitbewohnerin: das Spitzmausgesicht, das verwirbelte rote Haar, die Vogelwaden. »Was für eine Tortur«, grollt sie, reibt sich den Kopf und lässt sich wieder zurückfallen, die rissige Zimmerdecke anstarrend.
    »Das macht ihr jeden Tag?«
    »Ja«, sagt Bringfriede, zieht ihr die Bettdecke weg und hält ihr eine Achselhöhle hin: »Rieche ich nach Schweiß?« Ein dunstiger Schwapp alter Drüsen ergießt sich über unsere

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