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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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Swami, groß wie ein Berg, weltentrückt, seltsam heiter. Sein Kopf schaukelt hin und her, die blauen Augen unter den buschigen Augenbrauen sind geschlossen, das herrische Kinn ist nach vorn gestreckt. Irgendwo hat sie dieses Schaukeln schon gesehen.
    Der Vorhang öffnet sich. Er scheint einen riesigen Magneten im Boden zu aktivieren, dessen Gegenpol in den Köpfen der Hockenden eingebaut ist, denn alle plumpsen unisono mit der Stirn auf den Boden, auch Mau, der uns erneut an eine dressierte Seerobbe erinnert. Nur der Orientale, Benito und Venus plumpsen nicht. Benito grinst, schüttelt den Kopf in ihre Richtung, hebt die Schultern.
    Nach etwa gefühlten fünf Stunden geht das Saallicht an. Venus fühlt sich der Helligkeit ausgeliefert, fühlt sich beobachtet, aus unzähligen fremden Augenwinkeln, von allen anderen Alteingesessenen, die immer schon hier waren und die immer hier bleiben werden. Und sie? Wo kommt sie her? Wo geht sie hin? Du hast mich umgebracht, sagt leise die Ratte. Dafür wirst du in der Hölle schmoren.
    Toga springt hoch wie ein Gummiball und steckt allen Büchlein zu mit Gebets- und Liedtexten in Englisch sowie einer aus Schnörkelzeichen bestehenden fremden Sprache. Venus hält das Büchlein in den Händen und versucht, die richtige Seite zu finden. Bliss Swami soll sehen, dass sie sich bemüht. Aber sie findet die richtige Seite nicht. Toga fuchtelt, dieser kleine Tyrann, mitsingen soll sie. Sie bewegt also gehorsam die Lippen.
    Kuki wirft einen Blumenkopf nach Mau, der nach seinem Kopfsprung aufs Parkett wieder eingeschlafen ist. Er macht einen besonders lauten Schnarcher, wacht auf und betet automatisch mit. Er kennt die Gebete auswendig und schüttelt nach jeder Zeile tuschartig das Tamburin.
    Neben sich sieht Venus einen großen Nelkenstrauß stehen, dessen Blüten auf Köpfung warten. Sie langweilt sich, also riecht sie eher mechanisch an den Blumen, weil man an Blumen eben riecht. Da zieht sie jemand unsanft weg: »Du darfst nicht an den Blumen riechen, ihr Duft ist für Gott bestimmt«, zischt Bringfriede, offenbar ehrlich besorgt.
    Was für ein sonderbares Haus, denkt Venus. Offenbar sind die frömmsten Eiferer aller Glaubensrichtungen wie Läuse aus dem Haar der Welt gekämmt und in die Tempelkirche zum Heiligen Franz gefegt worden. So einer ist der Bliss Swami auch. Ein religiöser Eiferer. Dieser verzückte Gesichtsausdruck, als würde ihm Gott unter der Kutte einen blasen. Die Zeremonie hat etwas Hexenhaftes, ein geheimer Bund trifft sich hier, dessen Gepflogenheiten ihr fremd sind. Sie fühlt sich gefangen in einer Kannibalenhöhle, als Menschenopfer vorgesehen, gleich, denkt sie, wird sie aufgespießt und durchgebraten.

5     Spülhände
    Ihr erster Arbeitstag beginnt um zwölf Uhr mittags. Die Ärmste wird von Toga zum Küchendienst eingeteilt. Die »Küche« besteht aus einem Herd, einem Kühlschrank, einer Arbeitsplatte und einem Waschbecken in der Kochnische des Goldbrokatzimmers. Um die Mittagszeit herrscht dort immer erhebliches Gedränge.
    Als Venus eintrifft, steht Bringfriede bereits am Herd und rührt mit einem großen Löffel in einem großen Topf mit Hindupampe. Kuki läuft in Venus’ flammend rotem Marc-Jacobs-Kleidchen mit eingesetzten Keilen und nackten dunklen Klingelfüßen durch die Küche, schnappt sich einen Keks, murmelt etwas, steckt ihn quer in ihren Mund und sieht mit den unter der etwas zu kurzen Oberlippe vorblitzenden weißen Zähnen aus wie ein Hamster.
    Arjuna, der kubanische Küchenchef mit dem traurigen Löwenkopf, mustert Venus spöttisch von oben bis unten. Anderen Menschen vorgesetzt zu sein, ist eine Position, die er zuweilen genießt. Und jetzt ist ihm dieses Porzellan-Englein zugeflogen, unsere Venus, mit Händen, die nie zuvor mit scharfer Seifenlauge in Kontakt waren. Wir werfen einen wehmütigen letzten Blick auf ihre Klavierfinger, als er Venus auch schon heranwinkt.
    »Prinzessin, he?«, sagt er. »Töpfe schrubben!«
    Venus schiebt die Ärmel von Kukis perlenbesticktem Punjabi-Suit hoch. Das ist ja ekelhaft, denkt sie.
    »Anyway, ich finde, du bist etwas overdressed«, sagt Mau kichernd, der sich gerade seine schwarzen Haare im Nacken zusammenbindet, um sich an die verantwortungsvolle Herstellung spirituell unbedenklicher Käsetorte zu machen.
    »Blödmann«, sagt Venus. »Ich hab doch nichts anderes!« Sie hält die Luft an und taucht die Hände bis zu den Gelenken in die Lauge, wo sie umgehend ihre Jungfräulichkeit verlieren. Von

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