Venus
nun an werden sie eine Patina entwickeln, die leicht rissige, leicht geschwollene, leicht nach Lauge riechende Patina arbeitender Frauenhände. Unsere Prinzessin mutiert zur Küchenmagd, jedes Fünkchen Hochmut wird man ihr austreiben, dafür werden wir schon sorgen.
Mittendrin, wie eine Aufseherin, läuft eine Frau mit kniehohen schwarzen Lederstiefeln hin und her, keiner genauen Aufgabe nachgehend. Die Frau schwenkt ein gewaltiges Hinterteil und sieht mit ihren runden Schenkeln und den spitzen Stiefeln aus wie ein Truthahn.
Der zu schrubbende Topf ist riesig, zerbeult, schwarz angelaufen, mit hartnäckig angebackenen Rückständen am Boden. Venus lernt, dass Ekel offenbar keiner Erinnerung bedarf. Er ist einfach da. Sie verliert eine Stunde und drei Fingernägel, aber Arjuna findet immer noch schmutzige Stellen. Spöttisch sagt er, sie hätte den Topf wohl nicht mit ausreichend Liebe abgewaschen. Der Schweiß läuft ihre Achselhöhlen hinab. Ausreichend Liebe fühlt sie schon, allerdings nicht für den Topf.
»Hör nicht drauf, so sauber war der Topf noch nie«, raunt Bringfriede.
»Arbeiten in der Küche des Herrn«, ruft Arjuna, hinterm Rücken von einer pantomimischen Posaune Bringfriedes begleitet, »ist eine hochreligiöse Handlung. Du musst jedes Reiskorn behandeln, als sei es dein Augapfel. Du musst den Topf behandeln, als sei er dein Kopf. Und das Wasser …«, er dreht den quietschenden Hahn auf, »… ist ebenso wichtig wie dein eigenes Blut.«
»Von wegen zweiundzwanzig Uhr Nachtruhe«, murmelt Venus, als sie nach Mitternacht hundemüde, mit schmerzenden Knochen und roten, pochenden Waschfrauenhänden die Küche verlässt. Auf dem Weg in ihr Zimmer sieht sie den finsteren Korkhut-Mann mit dem bunten Flickenmantel wieder im Türrahmen stehen, züngelnd und grunzend.
Scheich Ramzi
Sein richtiger Name lautet Jaber Al Ahmad Al Jaber. Er ist groß und von etwas windschiefer Gestalt. Er hat lange, dünne, strähnige, schwarze Haare und einen langen, aber schütteren Vollbart. Hände und Gesicht sind wettergegerbt und dunkelbraun. Seine Augen laufen spitz zu, die Backenknochen stehen hervor. Er hat mongolisches Blut und wuchs in Pakistan wie ein Königssohn auf. Er las den Koran nach sieben Traditionen. Er studierte die Sternenkunde und die Werke der Dichter. Er schrieb Gedichte und träumte davon, ein Künstler zu sein. Eine Blume war etwas Schönes für ihn, und ein Kadaver, so hatte man es ihn gelehrt, war etwas Hässliches.
Als Jugendlicher erfuhr er, dass er einer langen Ahnenreihe von Fakiren, Magiern und Derwischen entstammte. So soll sein Großvater Omar in Zuständen derTrance in der Lage gewesen sein, seinen Kopf mit dem Schwert abzuschlagen und nachher wieder auf seinen Rumpf zu pflanzen. Ramzis Vater Kalif beherrschte sinnlose Kunststücke wie das, einen Fuß breit über dem Boden zu laufen, und sinnvolle wie die, Krankheiten zu heilen. Hingegen war das einzige Kunststück, das Scheich Ramzi hervorzubringen vermochte, das, mit der Zungenspitze die eigene Nase zu berühren. Damit konnte er keine Lorbeeren ernten, aber immerhin gewann er Suleika, die Schöne, Sanfte, Lotosgleiche.
In der Nacht zu seinem achtzehnten Geburtstag träumte Ramzi düster. Er träumte, dass er Suleika heiratete, sie sich aber, als er sie küssen wollte, in einen hässlichen riesigen feuerspeienden Drachen verwandelte. Er wollte niemandem seinen Traum erzählen und verfiel in eine Sinnkrise. Er verließ Suleika (nur eine ihrer seidenglatten Haarsträhnen nahm er mit), er verließ seine Träume, er verließ sein Land und bereiste, der Tradition der Wanderderwische folgend, die Welt. Einige Jahre lebte er in Indien mit Aghoris zusammen, mit bläulicher Asche eingeriebenen nackten Sadhus, Anbeter des Gottes Shiva, die Urin aus Hirnschalen tranken und in dem Ruf standen, Leichenteile zu verzehren. Die Aghoris liebten es, sich mit Kot zu beschmieren. Sie hatten Sex mit Prostituierten oder menstruierenden Frauen aus niedrigen Kasten. Jede bestehende Regel wurde ins Gegenteil verkehrt, mit einer Konsequenz, die den Scheich nachhaltig beeinflusste. Das ist die Wahrheit, dachte er: Es gibt nichts Böses oder Abscheuliches für den, der die Täuschung überwunden hat. Wer hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, dass eine Blume etwas Schönes sei und ein Kadaver etwas Hässliches? Wer hatte sich angemaßt, festzulegen, was stinkt und was duftet, was rein ist undwas unrein, was richtig ist und was falsch? War nicht vielleicht
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