Venus
aus der Eichel, geht ganz einfach.«
»Sorry«, murmelt Winter.
Alien klopft durch die Hose auf sein Geschlechtsteil, auf das er so stolz ist, auf das er so lange gewartet hat. Gern würde er es rausholen und Winter damit beeindrucken. Jedem würde er es gerne zeigen, jedem im Haus, auf der Straße, auf der Welt, er ist schließlich und endlich ein Mann, und das muss gefeiert werden. Venus betrachtet die braunen Handabdrücke und bekämpft ein leichtes Schwindelgefühl. Winter wühlt aus steifen weißen Plastiktüten Klamotten, an denen noch die Preisschilder hängen. Venus fragt lieber nicht, woher sie stammen.
»Sorry«, murmelt Winter. Alien brüllt: »Jeden Tag eine gute Tat«, und schenkt ihr Turnschuhe. Als die drei schließlich auf Zehenspitzen das Haus verlassen, trägtunsere Venus weiße Turnschuhe, ein langes schwarzes Jerseykleid und eine schwarze Baseballkappe.
Sie laufen im Entenmarsch: Venus, Alien, Winter. Für jemanden, der auf Zehenspitzen geht, macht Alien erstaunlich viel Lärm. Komplett lautlos dagegen folgt ihm Winter, die nur ein kleiner dünner Schatten an der Wand ist und die, als Venus sich suchend nach ihr umdreht, leise etwas murmelt, »Sorry«, vermutlich.
»Was glaubst du, was Gott ist?«, fragt Alien mit seiner lauten sonoren Stimme, während er sie in ein Auto bugsiert, das mit laufendem Motor draußen wartet. Er starrt sie mit knalltürkisfarbenen Augen an. Venus antwortet nicht, und ihre Antwort ist auch nicht erforderlich, denn Alien antwortet sogleich selbst.
»Ein DJ «, sagt er.
»Yeah«, sagt der Fahrer, ein Asiate, der eine rote Bommelmütze tief ins Gesicht gezogen hat, dreht sich um und zeigt auf sein T-Shirt, auf dem in weißen Lettern »Gott ist ein DJ « steht. »Warst du schon mal in Ekstase?«, fragt Alien, um sogleich wieder selbst zu antworten: »Ich ja. Niemand von den Glücklichen Sklaven war jemals in Ekstase. Aber ich. Beim Tanzen. Immer wenn ich tanze. Manchmal tanze ich zehn Stunden am Stück und werde dann ohnmächtig.«
Der Bommelmützenjunge am Steuer hupt, schimpft und fährt ruckhaft. Venus fühlt sich, als würde sie etwas Verbotenes tun. Tut sie etwas Verbotenes? »Ist dir Gott mal erschienen?«, fragt Alien weiter. »Mir schon. Beim Tanzen. Beim Tanzen ernähre ich mich vom Licht. Größte Ekstase! Größte Ekstase! Nur durch Licht!«
Venus sieht sich nach Winter um, ihr fällt auf, wie schön und melancholisch Winters Augen werden, wenn sie Alien ansieht, warm und tief unter langen dunklenWimpern und zarten hellen Lidern. Winter nickt. »Wir sind alle kleine Buddhas«, flüstert sie.
Das Auto hält vor einem Kellerloch. »Drunk love« steht auf einem blassblau flimmernden Neonschild. Ein breitschultriger Schwarzer steht vor einem Türverschlag, Hände im Schoß verschränkt, Hals eingezogen, Füße nach außen.
»Wie geht’s?«, brüllt Alien, den Venus noch nie leise sprechen gehört hat. Der Türsteher winkt die vier jungen Leute gelangweilt durch. Sie betreten einen düsteren Verschlag, laufen eine Kellertreppe hinunter, in einen relativ kleinen Raum, der mit Plüschsofas, Getränkekisten und Menschen voll gestopft ist. Es wird laut dröhnende Musik gespielt mit peitschenden Roboter-Rhythmen. Die Bässe rütteln Venus’ Innereien durcheinander. Es ist, als säße sie auf einer Waschmaschine. Sie sieht tanzende Leiber, religiöse Tänze, rituelle Tänze, Opfertänze, Anbetungstänze, Verführungstänze.
Dann beginnen Alien und Winter zu tanzen, kleine Buddhas mit Gott als DJ, jeder für sich und doch vollkommen synchron. Auf der vollen Tanzfläche tun sich zwei Kreise auf, magische Kreise, Lichtkegel, in denen zwei Solotänzer sich drehen. Sie tanzen mit einer Mischung aus Präzision und Eleganz, die Venus unwirklich vorkommt. Morgens im Regenbogensaal, wenn die anderen aufstehen und nach Togas und Bliss Swamis Vorbild die Füße im »Swami-Step« abwechselnd nach außen tippen, bleiben Alien und Winter in Decken gehüllt sitzen, zwei Decken mit Köpfen, müde, apathisch, bekennende Nichttänzer. Aber hier, in diesem harten gnadenlosen synthetischen Klangkörper des Rhythmus, werden sie wesentlich, stimmig, verschmelzen mit dem Raum, ziehen jeden Anwesenden in ihren Bann. Auchuns. Sie bewegen sich wie ein einziges Tier, sie tanzen wie das Eine, das vor der Trennung war, wie Shiva im Feuerrad, wie Kali auf Shivas Brustkorb.
Sie tanzen gleichzeitig die Schöpfung und die Zerstörung, die Verzweiflung und die unbändige Freude, sie tanzen
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