Venus
Liebe und Hass, Leben und Tod, und wir tanzen mit ihnen. Ohne einander anzusehen, mit einigen Metern Zwischenraum, gleiten sie wie mit Helium gefüllt um die eigenen Achsen, korrespondieren in perfekter Vollendung, miteinander, mit sich selbst, die Köpfe, die Arme zum Himmel gestreckt, einer alten fleckigen Kellerdecke, die sich plötzlich zu öffnen scheint, um den Blick freizugeben auf die sternlose Dunstglocke des Großstadthimmels.
Unsere Heldin ist aufgekratzt, als sie morgens um vier zurück in God’s Motel kommt. Winter und Alien verschwinden auf ihrem Zimmer, das Schlafen lohnt nicht mehr. Auf dem Flur im Treppenhaus bemerkt Venus eine Statue, die ihr vorher noch nie aufgefallen ist. Ein in rötlich goldenes Metall gegossener Mönch in Kutte, den Kopf geneigt, die Formen fließend. Unsere Venus setzt sich auf die oberste Treppenstufe und berührt die Statue. Sie nickt ein, die Hand auf dem Mönchssockel, den Kopf am Metallmönch, und schreckt hoch, als sie eine vertraute Stimme hört.
»Guten Morgen! Hast du die Nacht mit Franz von Assisi verbracht?« Der Bliss Swami steht vor ihr, den Gebetssack wie eine Brottasche vor dem strammen Bauch, eine Decke geschultert, fertig für die Morgenzeremonie. Er fragt ohne jeden Doppelsinn, ohne Anspielung, er ist nichts als freundlich. Natürlich fällt ihm auch nicht auf, dass sie andere Kleidung trägt.
»Wie spät ist es?«, fragt Venus verschlafen. Ihre Lippen kleben aneinander. Ihre Stimme ist heiser. Ihr Herz pocht laut.
»Genau fünf Uhr«, sagt Bliss Swami.
Er setzt sich neben sie. »Als junger Mann hat Franziskus sein bürgerliches Leben verlassen, von heute auf morgen«, sagt er.
»Wieso denn?«, fragt Venus, plötzlich hellwach, »hat er jemanden umgebracht?«
Der Swami sieht ihr prüfend in die Augen. Erst als er den Blick wieder abwendet, berührt sie sanft seine Schulter.
»Ich habe vielleicht jemanden umgebracht«, sagt sie, obwohl ihr die Sache mit dem Mord schon sehr weit entfernt vorkommt. Es gibt eine neue Wirklichkeit in ihrem Leben. Es gibt eine neue Dringlichkeit in ihrem Leben.
Der Bliss Swami indessen zuckt zusammen, weniger der Nachricht als der Berührung wegen. Er rückt von ihr ab und sieht sie lächelnd an. Das macht sie wütend. Er schenkt dieses Lächeln jedem. Es ist beliebig, sie möchte, dass er ihr ein exklusives Lächeln schenkt, eines, das sich von dem, das er für andere übrig hat, unterscheidet, wohltuend unterscheidet, massiv unterscheidet. Sie will ein Lächeln ganz für sich allein.
»Hast du in Notwehr gehandelt?«
In ihren Ohren hallt der peitschende Rhythmus der Musik nach. Ihr Verstand betastet die Mauer, die wir um ihre Erinnerungen gebaut haben. Ein Loch klafft, einige weitere Steine sind inzwischen lose, aber nicht lose genug. Noch scheint es uns ein Schuss ins Knie, die Mauer einstürzen zu lassen. Bei aller Liebe.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich’s überhaupt war.«
»Philosophisch gesehen, kannst du niemanden ermorden, Seelen sind unsterblich.«
»Prima«, sagt sie säuerlich. »Das merk ich mir für meine Verteidigung.« Und nach kurzer Pause: »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich eine Mörderin wäre?«
Er weicht ihrem Blick aus und starrt an die Wand, als läse er seine Antwort dort ab. »Ich nehme jeden Moment so, wie er ist.«
Es mag unser Zaubermittel sein oder ihre Übermüdung oder beides zusammen, jedenfalls nimmt Venus dies als Aufforderung. Sie beugt sich zu ihm und schlingt den Arm um seinen starken Hals. Doch er wendet sein Gesicht ab. So landet der Venuskuss, obwohl als Lippenkuss angelegt, auf der bartstoppeligen Mönchswange.
Wir kichern.
Er schweigt.
Die Abgeblitzte hingegen ist wütend und beschämt zugleich. Verständlich! Da beichtet sie nun und will Absolution und will Trost, eine Umarmung, einen Kuss, was auch immer, irgendwas steht ihr doch zu. Auch wenn es nur ein aufmunterndes Wort gewesen wäre, ein mimisch angedeuteter Zweifel, eine Standpauke, eine Flucht, irgendwas. Aber der Bliss Swami sitzt da, als hätte sie nicht von Mord gesprochen, als hätte sie nicht versucht ihn zu küssen.
Jetzt entfernt er auch noch ihren Arm von seinem Hals. Entfernen – anders kann man das nicht nennen. Bliss Swami berührt auch den Sockel der Statue. Seine Hand liegt nur wenige Millimeter neben ihrer, ohne ihre zu berühren. Sie sieht aus wie das nahezu unsinnig vergrößerte und verbreiterte Modell ihrer Hand und hinterlässt, als sie fortgeht, einen feuchten
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