Venus
sich gestrecktem Arm zu einer Mülltonne auf der Avenue B und brennt danach im und um den Kühlschrank extrastarke Räucherstäbchen ab.
Manchmal verirren sich die Touristen in die Morgenzeremonie: Kalifornierinnen mit Shorts und ohne Büstenhalter, Europäerinnen mit Hut und Wanderschuhen legen sich im Regenbogensaal flach auf den Boden und stöhnen, wie sie es in ihren New-Age-Entspannungszirkeln gelernt haben. Ihre Ehemänner lachen sich mit Bierfahne über die Betenden kaputt. Funktelefoneklingeln. Kameras blitzen. Kinder nehmen die mit Bast bespannten Trommeln und schlagen sie aufs Parkett, bis sie kaputtgehen. Andere Touristen steigen sogar über die Absperrung zum Altar, stehlen sich »Andenken« wie Gurufotos und Kerzen, klauen Krishnas Perlenkette direkt vom Hals der Statue und richten dabei noch andere Verwüstungen an. Die Permanenten sind angehalten, den Touristen stets freundlich zu begegnen, sie nie auszuschimpfen oder zurechtzuweisen und auch die dümmsten Fragen geduldig zu beantworten.
Venus aber hat keine Lust dazu, als ihr eine Männerstimme im Dämmerlicht ein einleitendes »Verzeihung …« zuflüstert.
»Ich bin Gast im Hause«, sagt ein großer hagerer Mann, in dem sie einen australischen Touristen erkennt, »… und durch ein … Hupen und Klopfen wach geworden. Könnten Sie mir freundlicherweise sagen, was hier stattfindet?«
»Gottesdienst«, antwortet Venus. Dann erinnert sie sich an Benitos Bemerkung und wirft »Stammesrituale« hinterher.
»Ach … interessant. Und … welche Konfession?«
»Alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist«, knurrt Venus, sieht den Bliss Swami wie vermutet flach auf dem Boden liegen, als suche er Deckung bei einem Luftangriff, erkennt im Priester erstaunt Arjuna und wirft einen Blick auf den Wochenplan. »Heute katholisch, morgen Hindu, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind.«
Der Australier blickt erstaunt, läuft kopfschüttelnd auf Zehenspitzen in die Ecke und hockt sich hin. Er mustert etwas verwirrt die Jesusfigur in der Mitte desAltars, die an einen Transvestiten erinnert, und den weihrauchschwenkenden Mann, der aussieht, als hätte sich ein Plüschlöwe als russisch-orthodoxer Priester verkleidet. New York ist schon eine dolle Stadt, denkt der Australier, und wir müssen ihm Recht geben.
Im Verlauf des Tages, der sich draußen unterteilt in einen schwülen Morgen, einen wüstenheißen Mittag und einen drückend sonnigen Nachmittag, der aber drinnen gleichmäßig halbschattig und kühl verläuft, begegnen sich der Orange Riese und das Albinohuhn dreimal flüchtig. Venus ist verlegen. Sie hat das Gefühl, dass er sie anders ansieht, dass er etwas zu ihr sagen möchte, aber er schweigt. Wenn er den Raum verlassen hat, ist er noch da wie ein Pulsschlag. Er erschreckt und entzückt sie, dieser rätselhafte Berg von einem Mann. Was hat er vor? Hat er überhaupt etwas vor? Er lässt sie vollkommen im Unklaren über seine Gefühle, seine Pläne, seine Gedanken.
Bei der vierten Begegnung lassen wir ihn vor ihr stehen bleiben. Seine Arme baumeln diesmal ausnahmsweise nicht, denn er trägt einen erdigen Ballen in den Bratpfannen, die seine Hände sind. Er räuspert sich und fragt: »Warst du schon mal auf dem Dach? Du könntest mir helfen, dort Oregano zu pflanzen.«
Jetzt sieht sie das zarte grüne Pflänzchen über dem erdigen Wurzelballen zwischen den Händen. Sie kann nicht mehr als schlucken und nicken. Mit pochendem Herzen geht sie ihm nach. Er steigt bedächtig Stufe um Stufe, führt sie Treppe um Treppe hinauf. Gesprochen wird nicht. Er öffnet die schwere Stahltür, deren Quietschen und Knarren Venus bereits kennt. Sie betretendas Dach der Kirche. In diesem Moment bahnt sich etwas an, das spürt sie. Es bahnt sich etwas an, und niemand, nicht einmal wir, weiß, was.
Die Sonne steht schon so tief, dass sie fast hinter der Skyline verschwunden ist. Doch Romantik kann gar nicht erst aufkommen, denn auf dem Dach wird geschrieen. Es dauert einige Sekunden, bis beiden klar wird, dass Scheich Ramzi Sun Baba mit dem Kopf nach unten vom Dach hält und in gebrochenem Englisch auf ihn einstichelt.
»Sagen die neunundneunzig Namen von Allah!«, ruft Ramzi und kichert. »Los! Sagen sie!«
Sun Baba, den Ramzi an den Füßen hält und schüttelt wie einen Rekord-Hecht, sagt kein Wort, da er vor fünfzig Jahren ein Schweigegelübde abgelegt hat. Er versucht vielmehr klaglos, von dieser unbequemen Position aus in die Sonne zu sehen. Ramzi hingegen scheint
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