Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
Vom Netzwerk:
Schleier auf dem blanken Metall.
    »Ich habe auch noch eine größere davon gemacht«, sagt der Berg von einem Mann langsam. »Sie steht im Vatikan.«
    Venus vergisst Wut und Enttäuschung. Sie vergisst den Kuss, der ein Entwurf blieb. Ihr entgeht, was uns sofort auffiel: dass die Statue kein Geniestreich ist, eher Kunsthandwerk als Kunstwerk.
    »Du bist Bildhauer?«
    »Ich war Bildhauer. Ich war Bildhauer und Mönch. Jetzt bin ich … Mönch.« Eigentlich wollte er »nur noch Mönch« sagen. Er versucht nicht nur, ohne Frauen auszukommen, er versucht auch, ohne Wertungen auszukommen.
    »Und warum?«
    Er sagt lange nichts und zuckt dann mit den Schultern. »Ich diene Gott, wo und wie immer er will.«
    Ein hoffnungsloser Fall, denkt Venus. Ein riesiger, knarziger, hoffnungsloser Fall. Und mit einem fast verzweifelten Impuls wagt sie einen zweiten Vorstoß, nur zwei Minuten nach dem Scheitern des ersten. »Woher weißt du, was er will?«, fragt sie. »Woher weißt du, ob er nicht will, dass du mich küsst?«
    Seine rechte Hand fährt in den Gebetssack, Perlen klimpern. Flucht ins Gebet fällt uns dazu ein. Nun beginnt er wieder zu schaukeln, als wollte er sich selbst in den Schlaf wiegen. Wieder kommt ihr das Schaukeln bekannt vor. Sie hat das Gefühl, dass er sie in diesem Moment und überhaupt wegwünscht.
    »Erzähl mir von deiner Bildhauerei«, sagt sie hastig, denn die Liebe macht sie kühn. »Es interessiert mich.« Sie mustert ihn. Sie kann nichts Indisches an ihm entdecken.
    Aus dem Inneren der Tempelkirche ertönt ein Gong. Er soll nicht weggehen, denkt sie. Nicht weggehen!
    »Später vielleicht«, sagt der Bliss Swami und geht weg.
    Noch ehe sie sich besinnt, ist er schon außer Hörweite, außer Sichtweite, vermutlich wirft er sich bereits vorm Altar nieder, seinen blauen Gott um Vergebung für seine jüngste Sünde anflehend, die Arme nach vorn gestreckt, das Gesicht auf den Boden gepresst, wie ein Trockenschwimmer, der, allen Erdgewalten zum Trotz, versucht unterzutauchen.

7     Seniorentarif
    Der Alltag der Glücklichen Sklaven Gottes besteht aus glücklichem Gefangensein in einer glücklichen Endlosschleife aus Dauerbeschäftigung mit stets den selben Dingen, umgeben von stets den selben Leuten. Venus erkennt die meisten Permanenten inzwischen blind: Kukis Klingelfüße, Maria Magdalenas raschelnde Röcke, Togas Verdauungsrumpeln, das keuchende, fauchende Hinken des Scheichs, Maus permanentes Schniefen, das von Übergewicht und Gesäßwackeln verursachte Wetzen seiner fetten Schenkel aneinander, Benitos trauriges Latschenschlurfen, Bliss Swamis gründlichen schweren Schritt, des Stiefeltruthahns Absatzklacken, das unstete Trippeln, Bringfriedes Nadelklappern, das Knacken der eigenen Knochen, Aliens Unfähigkeit, leise zu sein, selbst Winters Geräuschlosigkeit erkennt Venus am Klang.
    Doch es gibt im Haus ein zweites, bunteres, lauteres, abwechslungsreicheres Leben, ein Leben, das fast vollkommen separat und konträr abläuft. Jeden Tag checken Touristen aus aller Welt ein, aus Asien, Afrika, Europa kommen sie, manche bleiben nur für eine Nacht, manche für eine Woche. Sie ziehen große Koffer mit vielen Aufklebern hinter sich her, sprechen die merkwürdigsten Sprachen, verwüsten die Zimmer, schmeißen klitschnasse Handtücher auf den Boden im Bad, so wie sie es von Hotelzimmern gewohnt sind. Sie haben Kinderdabei und Hunde und Papageien und Laptops, sie laden sich ihre Teller mit Essen voll und lassen sie irgendwo stehen. Sie blockieren die Telefonanschlüsse und die Bäder. Sie irren halb nackt über Korridore, haben Sonderwünsche und sind irgendwann wieder weg. Wie ein Spuk.
    Die meisten nehmen gar nicht zur Kenntnis, dass sie bei einer Sekte untergebracht sind. Sie werden zwar darüber belehrt, dass sie sich an einem vegetarischen Ort befinden, an dem das Rauchen, das Trinken und das Fleischessen zu unterlassen ist, aber sie hören nicht zu oder vergessen es wieder oder halten sich einfach nicht daran.
    Einmal beobachtet Venus, wie ein irischer Gast, ein rothaariger Muskelprotz, sich in der Kochnische des Goldbrokatzimmers einen Fisch brät. Toga erscheint wie aus dem Boden gestampft, predigt mit freundlicher, eingecremter Stimme zu dem Iren und wirft, als der weg ist, die entweihte Pfanne samt Fisch kurzerhand in den Müll.
    Ein anderes Mal findet Venus einen Chicken-Burger im Kühlschrank. Der Kühlschrank wird geputzt, Winter trägt den Chicken-Burger mit Wegwerfhandschuhen und weit von

Weitere Kostenlose Bücher