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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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dem Spiel einigen Genuss abzugewinnen: »Sagen es! Sagen es! Sagen Al-Malik! Sprichen mich nach: Al-Malik. Al-Dschalil. Al-Karim. Sul-dschalali-wal-Ikram. Sprichen mich nach, sonst schmeißen runter!«
    Der Bliss Swami tritt näher heran. Wir lassen ihn in Venus’ Gegenwart den Mann der Tat sein, den Der-nicht-lange-Fackelt, den besonnenen Schlichter. So wird er in Venus’ Augen noch wachsen.
    »Ramzi prabhu«, ruft er. »Lass den Alten in Ruhe. Gott ist eine Flamme, aber diese Flamme erscheint unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Farben.«
    Der Scheich unterhält sich offenbar zu gut, um Einsicht zu zeigen. Unser Mann der Tat geht nun in eine der Venus unbekannte Sprache über, was diese nur noch mehr beeindruckt. Er redet so lange, bis Ramzi augenrollendund eine Grimasse ziehend den alten Mann auf die Dachpappe gleiten lässt. Als sei nichts geschehen, kriecht diese Handvoll alter Mensch, dieser dürre, geröstete Grashüpfer ein paar Meter gen Dachmitte, setzt sich in den Lotossitz und dreht den Kopf dorthin, wo eben die Sonne untergeht.
    Der Scheich verschwindet mit wetzenden Rockschößen durch die Tür, wobei er die neunundneunzig Namen Allahs vor sich hin murmelt.
    Erst jetzt sieht Venus, dass neben Sun Baba ein Walkman liegt und mehrere bunte Wegwerffeuerzeuge. Sie nähert sich ihm, den Schreck noch in den Knochen.
    »Hör mal, das mit eben … tut mir Leid.«
    Keine Antwort.
    Sie tippt auf den Walkman: »Was hörst du da? Hörst du Musik?«
    Keine Antwort.
    Sie tippt noch mal auf den Walkman und ruft: »Musik?«
    Jetzt reagiert er. Er sieht sie an, setzt den Kopfhörer auf, wiegt den Kopf hin und her, klopft mit seinem dürren Finger auf die Ohrmuschel und sieht wieder in die Ferne. Doch das Batteriefach ist leer, es steckt keine Kassette im Walkman, es ist keine Musik zu hören. Die bunten Wegwerffeuerzeuge sind auch leer.
    »Was macht er mit dem Müll?«, fragt sie den Bliss Swami.
    »Touristen haben ihm das gegeben, getauscht gegen seinen rituellen Feuerhaken und seinen Dreizack.«
    Unser Oranger Riese, der keine Ahnung hat, dass er von uns im Rollenfach des jugendlichen Liebhabers besetzt ist, schickt sich an, in den Blumenkästen zwischen Tomaten und Basilikum ein geeignetes Plätzchenfür die würzig duftenden Oregano-Pflanzen zu finden.
    »Was für eine Sprache war das?«
    »Tamil.«
    »Was hast du dem Scheich gesagt?«
    »Dass nicht einmal die Göttin der Gelehrsamkeit mit den Bergen als Tintenpulver, dem Meer als Tintenfass, dem Weltenbaum als Schreibfeder und der Welt als Papier Gott zu beschreiben vermag.«
    Mutig, mehrsprachig und gebildet, denkt Venus. Diplomatisch, spontan und erfolgreich, mit eigener Statue im Vatikan.
    »Und was hat er gerufen?«
    »Dass er auch Englisch spricht.«
    Beide lachen. Weit und groß ist die Himmelskuppel über ihnen, nahtlos von Hochhäusern gesäumt, von denen das größte einen Strahlenkranz aus Sonne trägt. Der beste Platz, denkt sie, für einen Handel um Zuneigung, denn darauf läuft es hinaus. Bliss Swami erklärt ihr, beide Hände in der Erde, die Himmelsrichtungen, die Namen der Häuser, die Stadtteile. Er scheint die laute große Kraft nicht wahrzunehmen, die sie hier draußen umfängt. Es liegt ein permanentes Dröhnen in der Luft, vom Swami unbemerkt. Er ist schon zu lange hier, ist betriebstaub geworden wie jemand, der an der Autobahn wohnt. Er hat einen auf andere Dinge konzentrierten Gesichtsausdruck. Er scheint in sein Innerstes hineinzulauschen, als säße dort ein heimlicher Souffleur. Wie kann man sich nur so von der Welt isolieren, denkt unsere Venus, die ihn verstohlen beobachtet. Er dreht an einem Hahn und sprenkelt Wasser auf die sandige Erde. Er nimmt eine der Pflanzen und buddelt ein Loch. Sie entschliesst sich zur Nachahmung, nimmt eine anderePflanze und buddelt ein Loch neben seinem. Wie zwei Maulwurfspaare stecken ihre Hände in der Erde. Maulwurfspaare, die einander noch nicht vorgestellt worden sind.
    »Ähm …« Bliss Swami kaut an einem Satz. Es dauert. Venus kramt mit erdigen Händen in ihrer Hosentasche nach einer Zigarette. Sie zündet sie an, gerade noch rechtzeitig. Ein plötzlicher Wind kommt auf, der den Lärmteppich in einzelne Geräusche zerreißt, der Taxihupen und Martinshörner nach oben trägt. Venus verbirgt sich hinter Bliss Swamis kräftiger Gestalt, will am liebsten ihre Arme um ihn schlingen. Sie will, dass er etwas sagt. Nicht irgendwas, das Richtige. Er soll ihr Fels im Wind sein, ihr Fundament, ihr

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