Venus
und dem Vierzigjährigen ins Knie zu schießen.
Daniel H. Boone seufzt und macht die Glotze an. Er ist ein Rentner, plötzlich ist er ein Rentner. Er tut uns Leid,der Inspektor im Pech, aber er macht sich gut in unserer Sommergeschichte. Wir bleiben noch so lange, bis er sich ins Bett legt. Weil er plötzlich ein Opa ist, ächzt er dabei. Wegen der Halskrause bewegt er sich sehr vorsichtig. Weil er eine Bierdose in der Hand hat, legt er sich auf den Rücken. Er denkt an die schöne Tatverdächtige, die pastellgefärbte Apfelblüte, das Steakmessermodel. Das zarte, schöne, leicht geheimnisvolle Mädchen, um das sich jetzt seine Kollegen kümmern werden, die jünger sind als er, die optisch und altersmäßig besser zu ihr passen, die effizient sind, kampfsporterprobt und studiert, mit mehr Haaren, mit Internet-Kenntnissen, mit Waschbrettbäuchen. Darüber schläft er gramvoll ein.
»Sag mal, woran glaubst du eigentlich?«, fragt Kuki Benito an jenem Abend. Sie hat einen provozierenden, leicht zwitschernden Tonfall und sieht ihr Gegenüber frei von jeglicher Sympathie an. Benito sitzt in seinem sich aufdröselnden Strickpullover verdrossen am Tisch im Goldbrokatzimmer, die Mütze hat er fast über die Augen gezogen. Er gähnt. Vielleicht hat er ihre Frage nicht gehört. Vielleicht hat er sie absichtlich überhört. Vielleicht will er ihr zeigen, wie wenig Gewinn er sich prinzipiell von einem Gespräch mit ihr verspricht. Schließlich ringt er sich fast überraschend zu einer Antwort durch: »Ich glaube an die Überwindung des eigenen Ichs durch Selbstmord.«
Kuki sitzt mit angezogenen Knien auf dem Sofa und näht ein glitzerndes Gewand für ihre Durga-Statue, obgleich diese schon dreihundertneunzehn Gewänder besitzt. Sie seufzt und schwingt die Ohrgehänge, wobei sie eine schwere Moschuswolke durch den Raum schickt, die gegen die Weihrauchwolke der Räucherstäbchenprallt, woraufhin sich beide Wolken zu einem explosiven Duftgemisch vereinen.
»Das tut mir Leid«, antwortet Kuki ohne Mitgefühl, »und du?«
Sie sieht Venus fragend an. Die ist erschrocken darüber, dass sie in die Unterhaltung gezerrt wird. Sie würde lieber träumen und druckst: »Ich … ich glaube an so ein Etwas, das … das Universum erschaffen hat, all die Dinge, die wir nicht begreifen können.«
Benito stöhnt.
Kuki ignoriert ihn. »Siehst du, und ich glaube an jemand.«
»Und was ist der Unterschied? Etwas? Jemand?«
»Mit jemandem kann man in Kontakt treten.«
Venus nickt. Sie glaubt auch an jemand. Und sie gäbe etwas darum, mit ihm in Kontakt zu treten. Und zwar in Ganzkörperkontakt.
»Wenn ihr das nächste Mal mit eurem Jemand in Kontakt tretet, sagt ihm, er kann mich mal«, sagt Benito und zieht die Wollmütze über die Ohren. Bevor er aus dem Zimmer geht, dreht er sich noch mal zu Venus um. »Hör mal, Mädel, du kommst hier reingestolpert und glaubst jeden Scheiß. Warum glaubst du denn jeden Scheiß?« Er schlurft hinaus.
Venus sieht ihm unschlüssig nach. Es scheint ihr gerade beides ähnlich absurd: an nichts zu glauben und an jeden Scheiß zu glauben.
»Mit Nächstenliebe ist das so eine Sache«, sagt Kuki und beißt den Faden ab, »wenn es um Idioten geht.«
Das ist Togas Einsatz. »Ich bete für ihn«, sagt er mit jovialer, selbstherrlicher Miene, in einem Tonfall, der genauso gut heißen könnte: »Ich hau ihm eine aufs Maul.« Er sieht sich Beifall heischend um, dabei fällt sein Blickauf die Fäden abbeißende Kuki: »Nichtnichtnicht«, ruft er, »nicht, wenn du Gewänder für Heiligenstatuen nähst. Dann werden Faden und Nadel unrein.«
»Danke für die Belehrung, Prabhu«, sagt Kuki gereizt.
Unsere Venus läuft Benito nach. Vielleicht hat der ja Zigaretten, ihre sind alle. Vielleicht hat der ja Antworten, ihre sind alle.
»Was bist du denn so grantig?«, fragt sie ihn draußen.
»Frag vielleicht öfter mal mich. Ich hab die ganzen vedischen Schwarten gelesen. Frauen sind hinterlistig. Frauen sind von niederer Geburt. Frauen sind unrein.«
»Apropos unrein, haste mal ’ne Zigarette?«
Benito hält ihr eine hin: »Wenn jemand an die Grenzen seines Verstandes kommt, dann probiert er es eben mit Glauben. Das ist legitim, aber es funktioniert nicht.«
Mit einem Seitenblick überfliegt Venus die Schlagzeilen. Sie berichten von einem Krieg, kein Wort über das Steakmessermodel.
»Bist du schon mal an die Grenzen deines Verstandes gestoßen?«
Er schüttelt den Kopf, empört über die Verdächtigung: »Noch
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