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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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treffen. Ihr Atem riecht nach Zigarette, ihre Finger riechen nach Schinken, sie hat zwei Regeln gebrochen und obendrein einen Mönch versucht, und sie hat tatsächlich ein schlechtes Gewissen deswegen.
    Die Strickliesl fängt sie an der Zimmertür ab. »Ich bin der uranfängliche kosmische Erzeuger«, ruft sie heiser. »Tausend Häupter besitze ich, ich bin das heiligste der heiligen Opfer. Wirf dich zu meinen Lotosfüßen nieder, Ungläubige! Erweise mir die Ehre!«
    »Ich bin sehr müde«, sagt Venus und drängt sich an ihr vorbei. »Sonst gern.«
    Bringfriede aber geht ihr nach, ist wenige Zentimeter hinter ihr, fuchtelt mit alarmierend langen und spitzen metallenen Stricknadeln. »Zur selben Zeit aber bin ichder Strudel, der zerstörerische Wirbel, der alles wieder einsaugt, was jemals entfaltet wurde.« Die Stimme hinter ihr schwillt zu einem schrillen Kreischen an: »Ich setze allem, was entsteht, ein Ende.«
    In dieser Nacht schläft Venus vorsichtshalber auf dem Sofa im Goldbrokatzimmer.

8     Donnerhall
    »Möchtest du mich heute auf meinem Morgenspaziergang begleiten?«, fragt Bliss Swami. Venus fühlt sich etwas zerschlagen von der Nacht auf dem Sofa, auch hätte sie sich sicher mehr gefreut, wenn die Sache auf dem Dach nicht gewesen wäre – seitdem hat sie kein privates Wort mehr mit ihm gewechselt, hat sie jemals ein privates Wort mit ihm gewechselt? –, aber sie sagt trotzdem Ja.
    Sie sagt Ja, weil er sie heute in der Morgenzeremonie angesehen hat, und zwar intensiv angesehen, das können wir bezeugen. Sie ruft sich seinen Blick in Erinnerung zurück. Sein Gesicht im Feuerschein, als er ihr die Kerze reicht, die zuckende Flamme, die ein bizarres Muster an die Wand wirft, sein Gesicht ihrem ganz nahe, sein Blick in ihren versenkt. Das muss doch Liebe sein, denkt sie, das muss Liebe sein, egal, was der sagt, ich seh das doch, der liebt mich. Sie hatte ihre Hand über die Flamme gehalten, zu tief über die Flamme, zu lange über die Flamme, der Hitze standhaltend, seinem Blick standhaltend, und hatte dann, so wie es alle tun, ihre Stirn mit den Fingerkuppen berührt.
    Jetzt tun ihr die Fingerkuppen weh, Brandblasen sind darauf gewachsen. Und anzuziehen hat sie auch nichts! Sie wünscht sich neue Sachen. Kuki hat unter fadenscheinigem Vorwand ihren Punjabi-Suit zurückgefordert,Venus trägt seit Tagen das schwarze Jerseykleid, das ihr Winter für die Diskothek geliehen hat. Auch das wird sie bald zurückgeben müssen. Aber heute muss es noch mal gehen. Und der Swami hat sowieso keinen Blick dafür. Der würde nicht mal merken, wenn ich nackt wäre, denkt sie.
    Es handelt sich um einen ausgedehnten Spaziergang, derselbe, den Bliss Swami jeden Morgen, seit vielen Jahren schon macht, immer um dieselbe Zeit, bisher immer allein. Der Himmel ist beißend blau und sehr klar. Ein weiterer außerordentlich heißer Tag kündigt sich an. Es ist 8.30 Uhr morgens, sie laufen der Sonne entgegen. Während Venus sogar unter ihrer Sonnenbrille geblendet ist, beobachtet Bliss Swami aus zusammengekniffenen Augen unter buschigen Augenbrauen sehr aufmerksam die Umgebung. Das erstaunt sie. Sie hatte sich den Spaziergang stumm und ins Gebet versunken vorgestellt.
    »Da hat jemand Krücken weggeworfen«, sagt Bliss Swami und nimmt prüfend einen glatten, dunklen Holzstab mit Griff in die Hand. »Gute Qualität!« Oder: »Dieses Geschäft muss kürzlich ausgebrannt sein. Siehst du hier? Die Holzverschalung ist neu gemacht, aber man sieht die verkohlten Stellen noch.« Oder: »Da steht ein nagelneues Bett am Straßenrand. Nur der Boden fehlt, aber das wäre nicht viel Arbeit.« Als ob es nicht bessere Themen gäbe. Was indessen der Mönch denkt, wissen wir nicht. Wir können seine Gedanken nicht hören; ihre sind zu laut. Er hat die rechte Hand tief in seinem Gebetssäckchen vergraben, der Zeigefinger lugt heraus und zeigt nach vorn, Richtung East River.
    »Was genau machst du eigentlich immer in diesem Sack?«, fragt Venus.
    »Ich chante«, sagt er. »Ich spreche mein Mantra, auf jede Perle der Mala.«
    Er zieht die Perlenkette hervor, die schon unzählige tausend Male durch seine Finger geglitten ist. Wie ein monströser Regenwurm sieht sie aus, wie ein Regenwurm in einer Bratpfanne von Hand. Venus schnappt danach. Er lässt sie. Sie betastet behutsam die Perlen, die Brandblasen an ihren Fingerkuppen schmerzen. Die Perlen sind aus Holz, länglich, grob behauen, dunkelbraun. Und nun entweiht. Der Swami steckt sie eilig weg.

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