Venus
Krishna gemein. Sie riecht nach Rauch, Qualm, Frittenfett, Schweiß, Bratendunst, Smog, Sperma, verbranntem Gummi, Müll, Holzspänen,Alkohol, Haschisch, Kotze, Kaffee, saurem Rülps und Bier. Venus, von einem Gefühl der Gottverlassenheit befallen, drängt sich näher an den Bliss Swami, sie sucht Schutz, aber sie merkt, dass auch er Schutz sucht. Draußen ist der Mönch entmachtet: ein älterer Mann mit Kullerbauch, vollkommen wehrlos und ausgeliefert, den beiden Unbekannten, der Nacht und der Braut. Und das erst gibt ihr richtig Aufschwung, weil sie sich praktisch von einem Moment auf den anderen befördert fühlt, sie ist keine hilflose, gestrandete, polizeilich gesuchte, leere Hülle mehr, sie ist jemand zum Anlehnen, eine Braut, eine angehende Ehefrau. Sie ist jetzt sein Mensch und er ist ihrer.
Sie laufen immer wieder die Buden ab, hin und her, her und hin. Alles wiederholt sich, sieht gleich aus, ist doch unterschiedlich in Farbe, Preis, Qualität. Mützen, Tücher, Sonnenbrillen, Schmuck. Immer wenn der Swami Ringe sieht, presst seine Hand, das weiche Schlauchboot, ihre, tief drinnen in den verkrümelten Falten seiner Kutte. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt der fallende Mönch ihre Wahl, kommentiert jeden Ring, den sie ihm zeigt, bleibt geduldig, interessiert, höflich. Er verhält sich wie der ideale Mann zum Shoppen, als sei es für ihn das Natürlichste auf der Welt, einen Verlobungsring auszusuchen, mitten in der Nacht, mitten in New York.
Nach zwei Stunden – zehn Uhr abends ist es schon, längst ist für Bliss Swami die Bettruhe angebrochen – sind drei Ringe in der engeren Wahl, zwei mit Motiven, einer glatt. Schließlich entscheiden sie sich für den glatten, aus weichem weißem Silberrohr geschnittenen. Bliss Swamis Geld reicht nur für einen, er besteht auf dem Ring für sie, er besteht darauf, ihn zu bezahlen undzieht den zerknüllten Zehndollarschein aus der Tasche, von dem Venus vermutet, dass er ihn sich unter einem Vorwand von Toga geliehen hat. Er bezahlt, steckt ihr den Ring auf den Finger und kniet noch am Stand vor ihr nieder, um sie in aller Form um ihre Hand zu bitten.
Ein Bild für die Götter, möchten wir fast sagen, und applaudieren gerührt. Venus ist aufgewühlt, verwirrt, glücklich. Die Straßenhändler, Araber und Mexikaner, fallen in unseren Beifall ein und rufen Glückwünsche. Romeo steckt Julia den Ring an, mitten auf der Straße, sie kann sich nicht vorstellen, jemals zuvor etwas so Schönes erlebt zu haben. Sie kann sich nicht vorstellen, dass jemals jemand so etwas Schönes erlebt hat. Sie hat plötzlich das Gefühl, dass dieser Mann die Lösung für alle ihre Probleme ist.
»Morgen«, sagt Bliss Swami, der zum Abschied ihre Hand drückt und strahlt, »morgen werde ich es offiziell bekannt geben.«
9 Tigerfüttern
Verschwitzt, verwirrt und verlobt schleicht Venus die Treppen hoch in ihr Zimmer, spürt den sachlichen Händedruck, der alles besiegelt hat, spürt den Verlobungsring, der eng auf ihrem Finger sitzt, tastet sich im Dunkeln in ihr Hochbett. Ihr ist schwindelig. Ein panischer Puls klopft in ihrem Kopf. Sie hat Angst vor allem, was war, vor allem, was sein wird, sie will weglaufen, sterben, im Boden versinken, in sein Zimmer laufen, in die Falten seiner Kutte greifen, durch das kaputte Futter seiner krümeligen Kuttentasche, will mit ihm ficken. Sie will es dem Strickliesl erzählen, aber das ist nicht mehr da. Sie will ihre beste Freundin anrufen, ihre Eltern, Geschwister, aber sie hat nichts von alledem zur Hand, sie hat nur sich zur Hand und ihren Aufruhr.
Dann hört sie einen Schrei. Es ist ein schriller Schrei, dem ein Türenknall folgt, schnelle Schritte, Gerangel auf dem Flur, ein aggressiv gezischter Wortwechsel, ein wütender Aufbruch. Dann Stille. Dann sehr lautes Weinen. Da weint jemand, der nicht nur traurig ist, sondern auch der gehört werden will. Venus springt aus dem Bett, stürzt zur Tür, läuft hinaus, findet Winter auf dem Boden sitzend. Sie schreit, sie klagt, sie rauft sich die verfilzten Zöpfe. Ihre Nase blutet, ihr T-Shirt ist zerrissen.
»Hat er dich geschlagen?«, fragt Venus. Winter antwortet nicht. Venus will sie streicheln. Winter zuckt zurück.Venus will sie umarmen. Winter schiebt sie weg. Sie weint und schreit und trommelt gegen die Wand. Es ist erstaunlich, zu welcher Lautstärke dieses kleine Sorry-Menschlein fähig ist in Zeiten der Verzweiflung.
»Er behandelt mich wie einen Hund«, sagt sie.
Venus setzt
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