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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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Neugier, Hunger und Blasendruck. Zuerst fördert er im Kühlschrank eine Plastikdose mit Hindupampe zutage, in der er skeptisch herumstochert, dann findet und benutzt er das Bad, in dessen zahnpastabespritztem Spiegel er sein müdes, rotbäckiges, rundes Gesicht sieht, die überklebte Stirnglatze, den Drei-Tage-Bart. »Salao«, schimpft er sich, die schlimmste Form von glücklos, genau wie der alte Mann aus dem Buch. Er geht ins Zimmer zurück, wühlt in seinem Koffer und findet schließlich zwischen Unterwäsche und Dienstwaffe seinen Rasierapparat. Das Haus ist vollkommen still, nur tibetische Mönche brummen leise vom Band, als Boone das nur von einem elektrischen Blumenstrauß beleuchtete Goldbrokatzimmer nochmals durchquert und, kopfschüttelnd die pompöskitschige Einrichtung betrachtend, zurück ins Bad geht, um sein Gesicht vom Pennerlook zu befreien.
    Boone ist in der Welt zu Hause. Er hält nicht viel von Religionen. Er weiß nicht viel über Religionen. Aber was er darüber weiß, ist ihm suspekt. Die völlige Unterwerfung des Islam. Die peinliche Gesetzeseinhaltung des Judentums. Die Buße, das Flehen um Gnade im Christentum. Das Gesetz des Karmas, das bereits Säuglinge schuldig macht im Hinduismus, sie alle sind ihm verdächtig. Er kann sie nicht überführen, dazu weiß er zu wenig darüber, dazu interessiert er sich zu wenig dafür, aber sie sind ihm verdächtig. Allerdings kann jeder machen, was er will, sagt er sich, und in diesem Haus scheint niemand zu irgendwas gezwungen zu werden, es liegt also kein Straftatbestand vor.
    Dennoch macht ihn die weihrauchgeschwängerte Feierlichkeit unruhig. Das leise tibetische Mönchsgebrumme, das so tief ist, dass es wie ein endloser inbrünstigerDauerrülps klingt, macht ihn sogar aggressiv. Fast kommt Boone das laute Brummen seines Rasierapparates wie eine Erlösung vor. Doch als er fertig ist und das Gerät ausschaltet, ist es, als bliebe ein Echo des Rasiergeräusches zurück. Es sind nicht nur die Kassetten-Mönche. Er steckt lauschend den Kopf hinaus ins Treppenhaus und vergisst seinen knurrenden Magen. Es kommt von unten. Gut möglich, sagt er sich, dass jemand Radio hört, dass jemand mit einer untertourigen Bohrmaschine arbeitet. Aber mitten in der Nacht? Es klingt auch eher wie ein Hornissensummen, ein Vibrieren der Wände, ein Grunzen unbekannter Dschungeltiere. Es erschreckt ihn, wie gut der struppige Schatten an der Wand dazu passt, der sich bewegt und sich dann glücklicherweise als sein eigener herausstellt. Ein diffuses Unbehagen packt den erfahrenen Polizisten, immerhin hat er es hier nicht mit dem üblichen Problem zu tun, es ist vielmehr der Spuk, das Außerordentliche, Übernatürliche, Ungreifbare, das ihn nochmals ins Zimmer zurückgehen und den Rasierapparat gegen seine Knarre austauschen lässt. Sicher ist sicher.
    Auf nackten Füßen, Senk-Spreiz-Füßen übrigens, patscht Boone die Treppe hinunter, die Waffe entsichernd, dem unheilvollen Brabbeln nachgehend, zum Teil aus allzu menschlicher Neugier, zum Teil trotz Urlaubs immer im Dienst. Und obwohl er in seiner Polizistenlaufbahn schon tausendfach erfahren hat, dass es Türen gibt, die man nicht öffnen soll, einmal der Gefahr wegen, aber auch deshalb, weil das, was sich dahinter verbirgt, weit hinter dem Imaginierten zurückbleibt, öffnet er die Tür. Sein Kiefer fällt herunter, so fremdartig ist das Bild, das sich vor ihm auftut. Ein an Kitsch kaum zu überbietendes Kirchenschiff, in dem es keine Möbel,keine Betbänke, keinen Beichtstuhl gibt, sondern nur das blanke Parkett, auf dem ein riesiger kahl köpfiger Mönch in einem orangen Kittel kniet, hin- und herschaukelnd wie in Trance, und in einer Endlosschleife aus Sprechgesang sich verfangen zu haben scheint, der hohl und tief klingt, dessen Klang sich an den Wänden bricht und zu verdoppeln scheint, als sei ein einziger Bär allein imstande, einen Kanon vorzutragen.
    Boone sieht nur den kahl rasierten Hinterkopf, den starken Nacken, die mächtige Gestalt, die sich klein zu machen versucht vor wild geschminkten Holzpuppen in bestickten Gewändern. Wie kann ein Mensch, auch wenn er überdimensional groß ist, allein solch ein Geräusch erzeugen? Es muss sich um einen akustischen Effekt handeln, denkt er, vielleicht ist irgendwo ein Verstärker versteckt. Boone, der immer alles herausfinden will, Berufskrankheit, macht einen Schritt auf den Riesen zu. Holz knarrt. Boone erstarrt. Er, der eben noch auf der Jagd nach Einbrechern war,

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