Venus
sitzt in einer Mausefalle und rennt panisch in ihren eigenen Eingeweiden hin und her, hin und her. Irgendetwas läuft hier gewaltig schief, denkt sie. Es gibt Vernetzungen und Geheimnisse, von denen ich keine Ahnung habe, denkt sie. Offenbar fand Kuki die Vorstellung, mit ihm verheiratet zu sein, absurd.
Der Beichtende wartet indessen auf Einwände und Zwischenfragen, aber die Tischplatte wendet nichts ein und fragt nichts.
»Es war nicht das erste Mal. Ich habe vorher schon andere Frauen gefragt. Touristinnen, die hier gewohnt haben. Auch einige aus der Community. Alle haben Nein gesagt. Niemand will mich heiraten.«
Venus’ Gefühle ändern sich schlagartig. Der Kloß ist weg, weggeflutet von einer heißen Welle des Mitleids, auf dessen gischtiger Spitze sie reitet, mit wehendem Haar, selbstredend im Brautkleid. Ihr Herz schlägt schneller. Ist es das, was sie will? Wer kann denn ahnen, dass ein Mönch vom Heiraten träumt?
Venus denkt an Toga und Maria Magdalena. Eine Ehe mit einem Mönch, so ein Quatsch. Es ist lächerlich. Kuki hat Recht, dass sie ihn ausgelacht hat. Venus steht auf,geht zum Waschbecken und beginnt, eine fettige Pfanne zu schrubben, mit ihm abgewandtem Gesicht. Sie macht eine Fratze, kneift alles zusammen, was sich im Gesicht zusammenkneifen lässt, weil sie sich nicht mehr beherrschen kann, weil sie irgendwas machen muss. Er kommt ihr nach. Er steht hinter ihr. Groß. Sehr groß. Über ihr. Heiße Luft kommt aus seinen Nüstern. Sie spürt, wie sich ihre Nackenhaare aufstellen. Er setzt mehrmals an, zögert dann, sagt schließlich fest: »Ich glaube, Krishna will, dass ich dich heirate.«
Wie von der Tarantel gestochen dreht sie sich um. Sie sehen sich an. Er legt seine riesige Hand auf den Rücken ihrer schmalen, nassen. Warum küsst er mich nicht?, denkt sie. Wenn er mich küsst, nehm’ ich ihn.
»Willst du?«, fragt er.
Er küsst sie nicht. Sie nickt. Was soll’s. Sie nimmt ihn auch so. Sie weiß nicht, warum, aber sie will. Es ist romantisch. Ich bin irre, denkt sie. Ich bin im Begriff, einen Mönch zum Kotzefresser zu machen, meine Freiheit aufzugeben und für den Rest meines Lebens die Vedischen Schriften zu lesen. Aber das stimmt ja so nicht, sie ist ja gar nicht frei. Sie ist ein Niemand, der ein Jemand werden will. Eine Einsame, die eine Zweisame werden will. Sie ist eine Gejagte, eine Vergessene, eine Verlorene. Und was verliert sie schon? Sie hat ja nichts. Willigt sie ein, weil sie sonst niemand hat? Will sie sich verstecken vor denen, die sie draußen suchen? Vor der Erinnerung? Hat sie aus Mitleid Ja gesagt? Weil ihn sonst keine will? Warum auch immer, sie hat genickt, die Heirat ist beschlossene Sache.
Trotz der vielen Körbe scheint unser tollpatschiger Bewerber ernsthaft mit ihrem Ja gerechnet zu haben. Jedenfalls ist er präpariert. Er wühlt wieder in den Faltenseiner Kutte und bringt schließlich einen Zehndollarschein zutage. »Wollen wir einen Verlobungsring kaufen?« Venus starrt auf den zerknüllten Schein. Wollen wir? Ganz unversehens sind sie und er zum »wir« verschmolzen. Der Mann hat sich vorbereitet. Er wusste, dass sie Ja sagen würde. Hat sie wirklich schon Ja gesagt? Kann sie zurück? Will sie zurück? Er nimmt ihre tropfende Hand in seine große, die sich wie erwartet als weich herausstellt, und während sich unsere Venus in seiner weichen Hand zusammenkauert wie in einem großen Schlauchboot, das auf einen Wasserfall zutreibt, stopft der Bliss Swami beide Hände, seine und ihre, in die Falten seiner Kutte, wo sich eine mit Krümeln gefüllte Tasche befindet, deren Innennaht gerissen ist. Die Naht ist gerissen, mehr kann Venus nicht denken, sie laufen hinaus, noch ehe sie begriffen haben, was da gerade mit ihnen geschieht. Niemand begegnet ihnen, sodass Verlobung und Aufbruch zum Ringkauf zeugenlos bleiben, sie laufen westwärts und nordwärts zum St. Mark’s Place, an diesem normal heißen Spätsommerabend. »Sieh doch, wie blau die Nacht ist«, ruft der Bliss Swami, »wie Krishna!«, und es scheint ihm gar nichts auszumachen, dass die Leute sich nach ihnen umdrehen, denn die sehen zwar ab und zu Mönche, aber selten einen Mönch Hand in Hand mit einer Frau.
Die von den Glücklichen Sklaven Gottes so verschmähte materielle Welt bricht über die beiden frisch Verlobten herein mit Fressbuden, Touristen, lärmenden Reisegruppen, Kampfhunden, schwarz geschminkten Punks, Drogensüchtigen, Bettlern. Die blaue Nacht hat bis auf die Farbe nichts mit
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