Venus
nicht ab? Vergessen sie es, sind sie umgezogen, haben ihre Frau verlassen? Ein kalter Schauer weht sie an. Weil sie tot sind. Weil sie gestorben sind. Ein bisschen viel Tod heute Nacht, denkt sie.
Sie sucht dem Obdachlosen eine Kordhose und ein fast neues T-Shirt aus dem Sack heraus, auch Socken und Unterwäsche.
Toga denkt an das Ramakrishna-Zitat, zu einer ausgedachten Melodie singt er es innerlich immer wieder vor sich her. »Verlass eine Frau, die dir Hindernisse auf den Weg zu Gott legt. Mag sie sich umbringen und sonst noch tun, was sie will.« Er sollte es Bliss Swami noch mal zum Vortrag bringen. Bevor es zu spät ist.
Venus würde Toga gern fragen, wie das ist, eine Ehe ohne Sex. Wenn Sex verboten ist, wie definiert man ihn? Ist schon der erotische Gedanke Sex? Der Kuss auf den Mund mit halb geöffneten Lippen? Der Zungenkuss? Die Berührung des Armes, die Gänsehaut erzeugt? Die Umarmung, bei der sie seine Erektion spürt? Ist alles erlaubt, bei dem man angezogen ist? Ist alles erlaubt, was man bei geöffneter Tür macht? Oder im Stehen? Oder für Gott?
Doch sie hat diese Art von Beziehung nicht zum Diener des Dieners. Sie kann ihn nicht einfach nach diesen Dingen fragen. Außerdem sitzt Mau inzwischen am Tisch. Mit vollen Backen mampft er die Reste vom Vorabend. Er stopft sie nur so in sich hinein. Ein dicker Gierschlund, morgens um fünf.
»Gut geschlafen?«, fragt er hinterlistig.
Venus zögert. »Ja.« Sie setzt einen Tee für Peter Jr. auf.
»Du lügst«, sagt Mau, »du warst die ganze Nacht nicht da. Du stinkst wie eine Schnapsfabrik. Und jetzt entschuldigst du dich erst mal.«
»Wofür denn?«
»Für die blöde Tucke.«
»Entschuldigung. Fette Tucke natürlich!«
Er knufft sie in die Seite.
»Na warte! Erzähl schon, was hast du getrieben heute Nacht?«
»Ach, frag lieber nicht. Ich musste nachdenken.«
»Hat der Swami gebeichtet?«
»Ja. Warum hat er nur seine Vergangenheit vor mir verborgen?«
»Wieso, du verbirgst doch auch deine Vergangenheit vor ihm«, sagt Mau.
»Das ist was anderes. Ich hab sie vergessen!«
»Die Frage ist doch: Kannst du dich nicht erinnern oder willst du nicht?
»Ich kann nicht … und ich will auch nicht richtig.«
»Oder hast du dich vielleicht schon erinnert, aber sagst es uns nicht?«
»Nein, nein«, sie schüttelt hastig den Kopf.
»Würdest du den Bliss Swami heiraten, wenn du dich wieder erinnerst?«
»Woher soll ich denn das wissen?«
»Oder ist er nur ein exotisches Abenteuer zwischendurch?«
»Was weißt du schon!«
»Du meinst, ich als Schwuler?«
»Unsinn. Wie machst du das eigentlich mit dem Sex hier?«
»Viel beten. Kalt duschen.« Er kommt ihr näher und flüstert in ihr Ohr. »Und manchmal wichs ich auch. Ich stelle mir Krishna nackt vor. Du weißt doch, dass ich immer die Heiligen Statuen umziehe? Willst du wissen, was er drunter hat? Einen Tanga, einen blauen aufgemalten Tanga.«
»Du bist pervers!«
»Boahh, und du stinkst!«
»Jaja. Denkst du, Gott hört dich nicht, wenn du flüsterst?«
»Ich hoffe, Toga hört mich nicht, wenn ich flüstere.«
Als Venus zurückkommt, ist Peter Jr. weg. Es fehlen: die Telefonkasse mit Quarters im Wert von circa vierzig Dollar, zwei Kissen und eine Bettdecke.
Das Badezimmer ist unfassbar marihuanavernebelt. Die Badewanne ist in einem beklagenswerten Zustand. Sie schrubbt sie. Sie schrubbt sich. Sie eilt zur Morgenzeremonie. Ab heute, so steht es in den Hausregeln, ist ihr Platz an der Seite ihres zukünftigen Mannes. Gilt das noch? Sie setzt sich im weihrauchgeschwängerten Schummerlicht des Regenbogensaals neben den Bliss Swami. Er schaukelt hin und her, hin und her. Er ist vollkommen ins Gebet versunken. Er bemerkt sie nicht. Sie nimmt seine Hand. Sie betrachtet den Umriss seines knarzigen Schädels, das herrische Kinn, den Schattenriss seiner Schilfbrauen.
Unser Held ist wieder in Zivil. Er hat die ganze Nacht gechantet, in seiner Mönchsrobe, sich dann geduscht und umgezogen. Wenn Krishna will, dass ich sie heirate, wird sie wiederkommen, hat er gedacht und gewünscht, dass sie wiederkommt. Und sie ist hier! Sie verzeiht ihm! Er atmet aus und umschließt ihre Finger mit seiner weichen Pranke.Er ist nicht mehr ihr Vater, ihr Lehrer, ihr Berg. Sie bewundert ihn nun nicht mehr, sie begehrt ihn. Die schwere Kraft seines Schrittes neben ihr stellt sie nicht mehr zufrieden. Der sanfte Druck seiner großen weichen Hand um ihre stellt sie nicht mehr zufrieden. Sie starrt immer nur seine
Weitere Kostenlose Bücher