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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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Lippen an. Nachts träumt sie von ihnen, tagsüber starrt sie sie an. In ihrer Phantasie berührt sie sie mit ihrer Zunge, fährt damit auf ihnen entlang, erst auf der oberen, hin und zurück, dann auf der unteren, spürt die pulsierende Zartheit und Wärme seiner Haut, fährt mit der Zungenspitze seine Unterlippe hinunter nach innen, seine Oberlippe hinauf nach innen, an den glatten Konturen seiner Schneidezähne entlang, saugt an seinen Lippen so lange, bis sie schwellen, bis sie immer schwerer werden, bis sie den Kupfergeschmack seines Blutes schmeckt.
    »Wann küssen wir uns endlich?«, fragt sie.
    Bliss Swami erschrickt. Mit dem Küssen kennt er sich nicht aus. Er weiß nicht genau, wie es geht. Er weiß nicht, wozu es gut ist. Und er hat das Gefühl, es ist keine gute Idee. Wenn er sie küsst und er tut es nicht gut, will sie ihn dann noch heiraten? Wenn er sie küsst und den Tiger füttert, kann er sich dann noch im Zaum halten?
    »Nach der Hochzeit«, sagt er streng.
    Venus ist wütend. Die Katze im Sack soll sie heiraten? Einen Mann, von dem sie nicht einmal weiß, wie er küsst, dessen Liebhaberqualitäten sie nicht kennt, den sie niemals nackt gesehen hat? Sie gehen spazieren. Er liest ihr aus den Vedischen Schriften vor. Er lehrt sie Gebete. Vermutlich will er ein vorbildlicher Verlobter sein, vermutlich plant er, ein vorbildlicher Ehemann zu sein, wenn schon ein Kotzefresser, genauso wie Toga.
    Nur einmal brennt ein Feuer zwischen ihnen. Es istder Tag, den dem sie gemeinsam Muffins für die Obdachlosen backen. Der Bliss Swami stemmt die Säcke, Mehl, Zucker, er schneidet mit einem Messer, groß wie ein Schwert, die Butter vom Block, schmilzt sie in einem Tiegel. Sie misst alles ab, schüttet es in eine riesige Schüssel. Sie schaufelt zwei Hand voll eisgekühlten Joghurt aus dem Eimer. Er gießt die heiße Butter auf Mehlberge, Zuckerberge, Joghurthügel. Ein Kunstwerk entsteht, eine Landschaft, Berg und Tal, Himmel und Erde.
    Ihre Hände fahren in die heiß-kalte, flüssig puderige Mischung, vier Hände, ihre und seine, fahren tief hinein, so wie damals in die Blumenerde. Aber diesmal berühren sie sich, suchen einander unter dem Deckmantel des entstehenden Teiges. Die Zutaten sperren sich lange dagegen, zu einer Masse zu werden, Mehlinseln, Zuckernester halten sich hartnäckig, werden von ihren Händen gesucht, gejagt, vernichtet. Doch schließlich einigen sich der Goldton der Butter, das Weiß des Joghurts, das Braun des Rohrzuckers und das Grau des Vollkornmehls auf einen zarten Ockerton. Der Teig ist eine geschmeidige, sämige Masse geworden. Triumphierend hält der Swami die Hände hoch. Seine Finger sind kräftig wie junge Zweige. Klebrige Teigfäden hängen dazwischen. Sie greift danach, zieht seine Bratpfannenhand an ihr Gesicht, leckt sie ab. Sie leckt die Handfläche ab, leckt zwischen dem kleinen und dem Ringfinger. Sie leckt zwischen dem Ringfinger und dem Mittelfinger. Sie leckt zwischen dem Mittelfinger und dem Zeigefinger. Er, wie unter Schock, hält erst still, zieht mit der Kraft der Verzweiflung die Hand weg, sie, mit teigverschmiertem Gesicht, starrt seine Lippen an, leckt sich die Lippen, schweigt.
    Beide tun danach, als sei nichts geschehen.

11     Polterabend
    Der Sommer ist so gut wie vorbei. Der Countdown naht. Wir werden noch einmal eingreifen. Verschiedenes muss hinaus ans Licht, und dazu tauchen wir unsere triebgestauten Helden in das, wovor sie die größte Angst haben: in Dunkelheit.
    Unsere Aufgabe besteht darin, mit dem Zauberstab in lustfördernder Absicht die frischen Muffins zu berühren. Wir führen Regie, wir allein bestimmen, wann der Sündenfall passiert. Wir küren die nahende Nacht zum Sommernachtstraum, wir werden heute sogar Träume erfüllen, die gar niemand hat.
    Es ist acht Uhr abends, eine der letzten heißen Spätsommernächte kündigt sich an, unser Romeo und unsere Julia stehen Hand in Hand auf dem Kirchendach. Es ist laut da oben, der Straßenlärm, die Martinshörner, die Schornsteine, die Öffnungen der Heiz- und Klimaanlagen.
    Warum bin ich nicht geil?, denkt der Swami. Dass Geilheit hier nicht angebracht ist, ist ihm klar. Im Dämmerlicht des Sommertages hat unser Held stattdessen hehre Gedanken. Viel hat er in den Veden gelesen über die verschiedenen Naturen der Liebe. Er kennt bisher nur den Eros, die Liebe, die nach Sättigung, nach Erfüllung in einem anderen Menschen strebt. Aber was er möchte, ist Agape, die Liebe, die nichts

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