Venus
auf. »Krishna hat einen perfekten Plan«, sagt er und nickt wie eine Nickmaschine. Er kramt das batteriebetriebene Radio hervor und schaltet es an, rasch und ein wenig unbeholfen.
Nachrichtensender verbreiten Panik. Stromausfall in ganz New York, in ganz Amerika, auf der ganzen Welt. Warenhäuser werden geplündert. Gefängnisse und Nervenkliniken melden Ausbrüche. Supermärkte geben ihreWaren weg. Toga entschließt sich zu Aktionismus. Die Zimbeln schlagend – es lebe der Handbetrieb –, läuft er durch das finstere Haus, um alle zusammenzurufen, während Maria Magdalena, gerade wie ein Zinnsoldat, mit Kopftuch und raschelnden Röcken vor ihm herläuft und mit der Kerze den Weg leuchtet.
Daniel H. Boone, der, als die Lichter ausgingen, gerade einen Doppelwhopper verputzt und mit zwei Heineken nachgespült hatte, tritt aus dem dunklen Fastfoodladen. Er hält die Zeitung noch ungelesen unterm Arm und steht sehr verschwitzt und verloren auf der finsteren Straße. Sterne. Erstmals sieht er Sterne am Firmament. Während Boone nach oben sieht, sehen wir nach unten und beobachten aus der Vogelperspektive, was draußen geschieht. Es herrscht umgehend festliche Stimmung. Spontane Straßenfeste entstehen, Nachrichten hangeln sich von Mund zu Mund, Freundschaften werden geschlossen, die bei Tageslicht keine Chance gehabt hätten. Im Schutz der Dunkelheit rücken die Menschen zusammen, vorerst noch unentschlossen, ob sie einander ermorden oder umarmen wollen. Die Sehnsucht nach dem Versteckspiel ringt mit der Urangst vor der Dunkelheit. Natürlich hat auch die Stunde der Menschen mit dem Helfersyndrom geschlagen. Selbsternannte dicke Feierabend-Verkehrspolizisten treten auf den Plan, mit neonfarbenen handgemalten Schildern um den Bauch und Trillerpfeife im Mund, vollkommen unfähig, dem Chaos Einhalt zu gebieten. Die Kerzenpreise steigen, die Taschenlampenpreise steigen, die Batteriepreise steigen, alles in atemberaubender Geschwindigkeit.
»Das passt ja«, denkt Boone und geht langsam zur Tempelkirche zurück. Vor der Tür sitzt ein kleiner Jungeund schaut ihn finster an. Oder vielleicht schaut er gar nicht finster, vielleicht ist es nur die Dunkelheit, die ihn so finster aussehen lässt, oder sein schmutziges Gesicht.
»Ja, wo kommst du denn her?«, fragt Boone, der keine Erfahrung mit Kindern hat und unwillkürlich den Ton imitiert, den er bei anderen hört, wenn sie mit Babys sprechen. »Dudududu!« Das Kind bleibt von seiner Ansprache unbeeindruckt. Weit und breit ist niemand zu sehen, zu dem es gehören könnte. Was soll Boone machen? Am liebsten würde er sich drücken, vorbeischieben, weitergehen. Aber sein Polizistenethos lässt das nicht zu. Er packt das Kind derb unter den Achselhöhlen und hebt es hoch, wobei er ein starkes Stechen im Kreuz verspürt. Er trägt es ins Haus und erklärt ihm etwas betulich, dass der Onkel es jetzt erst mal dortunddorthin bringen würde. Das Kind ist schwerer, als er dachte, hält aber still. Als Boone es im dunklen Fahrstuhl abstellt, wo es zu schreien anfängt, sieht er eine merkwürdige Kolonne im Kerzenschein die Treppe herunterziehen, angeführt von der Asiatin, die niemals grüßt, keinen Blick erwidert und immer Kopftücher und lange Röcke trägt. Sie hält eine Kerze in beiden Händen. Ihr folgt das Pelztier, der Erzengel im Taschenformat, eine verbeulte Aluminiumschüssel mit Muffins balancierend. Hinter ihm kommt ein Riese, der einen alten Inder huckepack trägt. Gefolgt werden sie von Zwillingen mit verfilzten Haaren und blassen Gesichtern. Den Schluss bildet der dicke junge Mann, der Boone das Zimmer zugewiesen hat. Er trägt eine Duschhaube und rote Kriegsbemalung um die Augen.
Inzwischen hat auch Boone gemerkt, dass Fahrstühle im Fall von Stromausfall nicht fahren. Das Kind hat sichberuhigt. Er nimmt es an der Hand, die ebenfalls ziemlich schmutzig aussieht, geht gen Treppenhaus und wird dabei von Toga geortet. Der Diener des Dieners ist verärgert über diesen Gast, der einen Spezialtarif vereinbart, aber dann keinen Dienst geleistet hat, zwei Stunden täglich, wie versprochen, nichts davon hat er eingehalten, unter dem Vorwand, krank zu sein. In seinem Zimmer hat er sich verschanzt, sodass Toga nie die Tür öffnen und die Klimaanlage seines Zimmers für die Lüftung des Goldbrokatraumes benutzen konnte wie gewohnt. Und nun schmuggelt er auch noch ein Kind ein, aber das gibt Aufschlag!
»Gut, dass ich Sie treffe«, säuselt Toga. »Kommen Sie bitte gleich
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