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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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wieder und wieder. Er lässt das Lenkrad los und nimmt die andere Hand zu Hilfe, sie wehrt sich, beißt, drückt sein Gesicht weg, das sich ihr nähert, schafft es sogar vermittels katzenhafter Biegsamkeit, die uns entzückt, ihn zu treten. Er schlägt sie. Eine rote Ampel überfährt er, an der nächsten hält er kurz an. Sie reißt sich los und springt aus dem Auto. Sie rennt weg. Als sie vor »Kentucky Fried Chicken« steht, hört sie ein furchtbares Krachen. Josephs Auto ist gegen einen Laternenmast geknallt. Tumult entsteht, Menschen scharen sich um die Unfallstelle, der Polizeiwagen jauchzt ein letztes Mal auf und hält, Türen klappen.
    Venus betritt »Kentucky Fried Chicken«, setzt sich an einen Tisch und versucht, sich zu beruhigen. Sie ist schlagartig nüchtern. Josephs Ohrfeige brennt noch auf ihrer Wange. Joint, Tanz, Kampf und Unfall haben ihr Adrenalin geflutet. Sie zwingt sich, tief und langsam zu atmen. Es rauscht in ihren Ohren. Ist Josephs Prophezeiung eingetroffen? Ist es Zufall, Schicksal, Gottesstrafe? Wäre sie jetzt auch tot, wenn sie im Auto geblieben wäre? Würde Joseph noch leben, wenn sie sich hätte begrabschen lassen? Sie ist in weitere Todesfälle verwickelt. Zwei Tote in einer Nacht, eine grausige Bilanz.
    »Unsere Tische sind nur für Kunden.« Venus sieht auf. Ein mürrischer dunkelhaariger Junge mit eintätowierten Koteletten steht vor ihr. Er hält in der Hand ein Tablett mit halb aufgegessenen Burgern.
    »Aber ich bin ja ein Kunde«, sagt sie, nicht bereit, sich fortjagen zu lassen. Sie schließt die Fäuste unterm Tisch. Auf seinem Schild steht: »Freundlichkeit hat einen Namen: Charlie«.
    »Wo ist denn dann die Bestellung?«, sagt er.
    »Ich hab mich noch nicht entschieden … Charlie.«
    Sie zwinkert ihm zu. Er zögert einen Moment, sieht sich um und stellt ihr dann einen alten Teller mit einem halben Burger hin.
    Dann sagt er laut: »Kann ich das abräumen?«
    Sie braucht einen Moment, bis sie verstanden hat. Ihre linke Wange brennt. Sie tastet. Sie ist geschwollen und gefühllos.
    »Nein«, sagt sie. »Ich bin noch nicht fertig.«
    Sie zischt ihm ein »Danke« zu. Aber Charlie hat schon wieder das mürrische Gesicht und geht weiter. Da sie nun offiziell eine Kundin ist, sitzt sie noch eine Stundeund beobachtet die Penner und Besoffenen auf der Straße. Sie sieht, wie der Rettungswagen die Unfallstelle verlässt. Sie sieht, wie das völlig verbeulte Auto wegtransportiert wird.
    Zehn Minuten später tritt sie auf die Straße und orientiert sich. Es ist fast taghell, obwohl mitten in der Nacht. Vorhin im Auto glaubte sie einen Vollmond gesehen zu haben, aber jetzt ist er weg. Sie läuft die Second Avenue herunter, an Josephs auf die Straße gemalten Körperumrissen vorbei, an seinen Blutflecken vorbei.
    »Hey Pumpkin!«, ruft jemand. Sie hört einen parkenden Lieferwagen. Ein Schwarzer mit Dreadlocks springt heraus. »Soll ich dich mitnehmen?« Er hält ein Bündel Zeitungen in der Hand und wirft sie vor einen noch geschlossenen Grocery Store.
    »Nein«, sie schüttelt den Kopf. »Lieber nicht. Ich bringe Unglück.«
    »Ich bin nicht abergläubisch«, ruft der Zeitungsmann, wirft einen zweiten Stapel auf den ersten, macht eine einladende Bewegung gen Auto und steigt ein, als sie nicht mitkommt. Der Lieferwagen hupt noch mal und fährt einen Block weiter, zum nächsten Geschäft.
    Wird Bliss Swami Gott danken, wenn er merkt, dass sie weg ist? Wird er traurig sein oder erleichtert? Wird er an sie denken? Sie suchen? Sie vermissen?
    Sie bleibt mit dem Fuß hängen, strauchelt und fällt über etwas Weiches.
    »Hey, Schwester, kleiner Ritt gefällig?«, sagt das Weiche. Sie liegt auf einem Obdachlosen. »Sorry«, sagt sie und klingt wie Winter. »Tut mir Leid.«
    Der Mann hat einen roten Bart und rote Augen. Er sieht sie misstrauisch an. Dann stellt er sich vor: »Peter Jr.«. Peter Jr. trägt einen zerschlissenen Hut und einennoch zerschlisseneren lila Samtmantel. Sie kennt ihn. Er holt sich manchmal im Park eine Suppe von ihr.
    »Haste was zu rauchen?«, fragt er. Venus tastet in ihre Hosentasche und findet Josephs Päckchen. Sie wirft es Peter Jr. hin. Der stinkt entsetzlich. Er erkennt sie nicht. Er kriegt ja nicht mal richtig seine Augen auf. Sie sind ganz verklebt.
    »Und haste was zu saufen?«
    »Nee.«
    »Und haste mal ’n Dollar?«
    Sie dreht die Taschen ihrer ehemals weißen Hose nach außen und zuckt mit den Schultern. Dann beugt sie sich zu ihm runter, küsst ihn auf

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