Venus
plumpst es nach unten und trifft mit dem Knallgeräusch eines platzenden Wasserballons vor Togas Füßen auf der Avenue B auf. Der bekreuzigt sich reflexartig, er ist zwar seit fast zwanzig Jahren Hindu, aber der Katholizismus sitzt ihm wie Krebs in den Knochen. Er sieht irritiert nach oben, ins schwarze Loch des unbeleuchteten Nachthimmels, dann wieder auf den Fleck aus Därmen, Blut und Federn vor sich, er schüttelt den Kopf, murmelt das heilige Mantra und betritt mit straffem Schritt und wehendenhühnerblutbesudelten weißen Gewändern die von Kerzen beleuchtete Tempelkirche zum heiligen Franz. Als testosteronverzerrte Schneewittchenvariante – weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz – gefällt uns der Diener des Dieners ausgezeichnet.
Toga ist ärgerlich, nicht nur der Flecken wegen. Als geborener New Yorker ist er an fremdverursachte Verschmutzungen aller Art gewöhnt. Aber Maria Magdalena sollte vor der Tür längst Tische aufgestellt haben, um die Lebensmittel auszuteilen. Alles muss man alleine machen, denkt er. Dann bleibt er wie vom Donner gerührt stehen. Singend, gebadet, umgezogen, mit geschnittenem Haupt- und Barthaar, eine Blumengirlande um den Hals gewunden, kommt ihm Scheich Ramzi entgegen, der zwei Geschenke Gottes im Arm hält, Kuki im linken und eine Tempeltänzerin im rechten, keine Albinohühner, wie Ramzi findet, sondern richtige Frauen.
»Willst du einen Muffin?«, fragt Kuki, die wie immer geschmückt und aufgedonnert ist, und stopft Toga etwas Weiches, Krümeliges, Süßes in den geöffneten, wie ein Wachtelei geformten Mund. Der Kaureflex setzt ein, das ganze Bartnest wackelt. Wie gut doch dieser Muffin schmeckt, denkt Toga, der das Gebäck zwar im Bus ausgeteilt, aber, da er der Diener des Dieners ist, nichts davon gegessen hat.
»Kümmre du dich lieber um deine Frau«, knurrt der Derwisch eifersüchtig, lässt die Tempeltänzerin los und schubst sie dem zurückweichenden kleinen Mann entgegen. Als Toga jedoch einen zweiten Blick auf die Tempeltänzerin wirft, verschluckt er sich und hustet. Es ist tatsächlich seine Frau, seine eigene Ehefrau, die ihn aus geschminktem Gesicht anlächelt. Brillenlos, lidschlaglos, mit einem kurzen, aufreizend fransigen Haarschnitt.Weiter nach unten traut er sich nicht zu schauen. Frauen sind Feuer, Männer sind Butter. Ausnahmen gibt es nicht. Er hat es immer gewusst. Er fürchtet sich. Er stürzt in die Knie und sammelt jeden Muffinkrümel einzeln auf. Ich halluziniere, denkt er. Wenn ich wieder hochkomme, ist der Spuk vorbei.
Als er wieder hochkommt, wirkt das Aphrodisiakum bereits. Vergessen ist, was Ramakrishna sagte. Sehr lecker mutet plötzlich die Kotzefresserei an. Etwas Ungeheuerliches beginnt sich in Toga zu versammeln, in Bewegung zu setzen, ganzheitlich zur Jagd zu blasen. Toga hat urplötzlich, nach Jahren des Wartens, Schuftens und Entsagens, das Stadium totaler Verzückung erreicht. Jedoch ist es erstaunlicherweise nicht Gott, der ihn verzückt, sondern seine eigene Frau. Sie ist es, die ihm zur Ekstase verhelfen wird. Sie ist es, die ihm zur Ganzheit fehlt. Was war das nur für ein Quatsch mit der sexlosen Ehe? Heute ist sie fällig.
Sun Baba, der sonnenbebrillt, aber sonnenlos vor den Kühlregalen im Schummerlicht des Supermarktes hockt, das klebrig-süße Bananenaroma des Muffins noch im Mund, hat die halb geschmolzenen Speiseeis-Familienpackungen, die der Swami in einer Reihe neben ihm aufgestellt hat, inzwischen ertastet und geöffnet. Er riecht an der ersten Packung. Sie duftet nach Moschus und Gelbwurz. Wie einen Angelhaken steckt er seinen Zeigefinger hinein. Die Masse ist kalt, schmelzend, klebrig. Sein Finger beginnt zu schmerzen. Er zieht ihn wieder heraus. Jetzt fühlt sich der Finger taub an. Er führt ihn zum Mund und leckt ihn ab. Er schmeckt nach Kokosnussöl, Zimt, Sandelholz.
Nun steckt er die ganze Hand in den Eistopf, wie eineSchaufel steckt er seine dünne vertrocknete Greisenhand hinein. Die Eiscreme löst sich in Klumpen von seiner Hand und tropft zu Boden. Er hält die Hand über sein Gesicht. Die Eiscreme tropft in die Furchen seines Gesichtes, auf seine zerklüftete dunkle Stirn, in Augen, Nase, Mund. Er schließt die Augen. Er sieht die Feuer am Ufer der Mutter Ganga. Er öffnet den eingefallenen Mund wie eine schwarze Höhlentür. Er lässt die Eiscremebatzen, die sich mit seinen Tränen vermischen, direkt in seinen Mund fallen. Er sieht die ewigen Feuer lodern und spürt ihre Hitze. Er
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