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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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Kollegen anrufen, so schwer ihm das fällt, und fragen, ob eine Vermisstenanzeige vorliegt. Das Kind trägt eine kleine Tasche um den Hals. Boone zeigt auf die Tasche: »Was hast du denn da Feines?« Er will nach der Tasche greifen, doch das Kind hält sie fest und brüllt.
    In diesem Moment ruft Venus: »Halt! Alien! Stopp!« Vollbremsung. Boone fliegt schon wieder durch die Gegend, diesmal rücklings zu seinem Platz zurück. Venus öffnet, noch halb im Fahren, die Seitentür und stürzt hinaus. »Was ist denn los?«, ruft Mau. Der Bliss Swami will sich aufrichten, kann aber nur gebückt im Auto stehen. Alle sehen Venus nach. Sie läuft auf einen umgestürztenPapierkorb Bleecker Ecke Spring zu, auf dem eine von mehreren Menschen umringte Person steht und singt. Die Person hat eine Fackel in der Hand, die geheimnisvolle Schatten auf ihr zahnloses altes Jungengesicht, auf ihr verwirbeltes kurzes Haar wirft.
    »Bringfriede«, flüstert Toga.
    »Sie singt die Nationalhymne«, brüllt Alien und schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
    »Sorry«, flüstert Winter.
    »Ach, und ich hatte gehofft, die alte Kräuterhexe ist tot«, knurrt Mau.
    Toga beschränkt sich darauf, vieldeutig zu seufzen.
    Venus ist froh, das Strickliesl wieder zu sehen. Sie braucht eine Vertraute. Sie hat Bringfriedes unverdrossenen Irrsinn vermisst, ihr Auf-der-Kippe-Stehen zwischen Psychose und kumpelhafter Munterkeit, ihr Stricknadelgeklapper, ihren Sammeltrieb, ihre unnachahmliche Gabe, andere zu überraschen.
    »Wer sind Sie«, ruft Bringfriede. »Ich kenne Sie nicht!«
    Es kostet Venus einige Überredungskunst, sich Bringfriede in Erinnerung zu rufen, sie zu bewegen, in den Bus zu steigen.
    »Setzt dich hin«, sagt Venus und bietet ihr ihren Platz an, während Toga genervt auf die Uhr sieht und Alien hart anfährt. Bringfriede wendet sich Boone zu: »Entschuldigen Sie, junger Mann«, sagt sie zu dem etwa Gleichaltrigen. »Darf ich an Ihnen riechen? Sie riechen nach Thunfisch. Ich hatte schon lange keinen Thunfisch mehr.«
    »Boone«, sagt Boone verwirrt. »Daniel H. Boone.«
    »Sehr angenehm«, antwortet sie. »Sie können mich Mother of Mercy nennen. Sind Sie Atheist?«
    Der Indianer ist inzwischen zu den beiden verfilzten Kindern und Toga ins Cockpit des Wagens umgestiegen, um einen Blick auf seine früheren Stammkneipen im Greenwich Village zu werfen. Die Apfelblüte nimmt neben dem ehemaligen Mönch Platz und – Boone ist schockiert und ein bisschen eifersüchtig – hält mit ihm Händchen. Sie flüstern, und beide sehen zu Boone hin, der Mönch lächelnd, sie ernst.
    »Ich finde, Sie sind ein ausgesprochen gut aussehender Mann«, sagt Bringfriede und rückt näher. »Ich nehme an, Sie trinken regelmäßig Eigenurin?«
    Boone weicht reflexartig zurück. »Rieche ich aus dem Mund?«, fragt sie. »Nein, ganz und gar nicht«, sagt er, beide Fragen auf einmal beantwortend. Er sieht die Frau neben sich an. Sie hat kurze strubbelige rote Haare und Zahnlücken. Na, alter Mann, sagt er zu sich selbst, da sitzt dein Preis. Es ist nicht der küssende Engel, das Steakmessermodel, die pastellfarbene Apfelblüte; es ist ein verwirrter Pumuckl.
    »Wofür steht das H. in Ihrem Namen?«, fragt Bringfriede. Boone grinst. Zum ersten Mal im Leben hat er das Gefühl, sein zweiter Vorname könnte Punkte bringen: »Hiob«, sagt er. Bringfriede lächelt ihn an, schlägt ihre Vogelwaden übereinander und schiebt ihre kleine Hand unter seinen Arm: »Hiob«, ruft sie vergnügt, »wunderbar!« Es besteht kein Zweifel: Diesen Mann hat ihr der Himmel geschickt.
    Ungern trennen wir uns von der hübsch-hässlichen Szenerie, müssen aber kurz in der Tempelkirche nach dem Rechten sehen. Kuki, die inzwischen die »Energiearbeit« an dem australischen Gast beendet und fünfzig Dollar abkassiert hat, streift auf der Suche nach etwasEssbarem durchs Haus und trifft im Goldbrokatzimmer vor dem Blech mit den restlichen frischen Muffins auf den Scheich und Maria Magdalena, die, was durchaus ungewöhnlich ist, weil die eine nicht spricht und der andere nicht scherzt, sich scherzend miteinander unterhalten.
    »Issen Muffin, schöne Frau«, sagt Ramzi, nimmt einen und will ihn Kuki spielerisch zum Munde führen. Die hält sich die Nase zu. »Ehe ich mich von dir füttern lasse, du Schmutzfink, musst du dich erst mal waschen, Haare schneiden, Fingernägel sauber machen, Zähne putzen.«
    Ramzi betrachtet seine Trauerränder. So hat noch nie jemand mit ihm gesprochen. Schon

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